HANDELSBLATT 25.4.2000

Chatami verteidigt Meinungsfreiheit

Liberale Presse Irans verboten

dpa TEHERAN. In Iran spitzt sich der Kampf um die liberale Presse des Landes zu. Während die von Konservativen beherrschte Justiz am Montag die Schließung von nahezu allen liberalen Blättern anordnete, verteidigte Staatspräsident Mohammed Chatami die Meinungsfreiheit. Am Wochenende waren zwei leitende Mitarbeiter liberaler Blätter ins Gefängnis gekommen.

Wie das staatliche Fernsehen am Montag berichtete, sagte Chatami auf einer Kabinettssitzung: "Meinungsfreiheit und Pluralismus sind das Recht des Volkes, und sie werden beständig als große Errungenschaften der Islamischen Revolution betrachtet."

Die offizielle Nachrichtenagentur IRNA zitierte den Präsidenten mit den Worten: "Strafe und die Durchsetzung des Gesetzes sind etwas anderes als Gewalt, die sich auf Zwangsmaßnahmen und irrationale und illegale Mittel stützt." In der gegenwärtigen Lage könne nichts gefährlicher als Unruhe oder das Beabsichtigen von Unruhe sein, fügte Chatami hinzu.

Zur Begründung des Verbots von acht Tageszeitungen, drei Wochenblättern und einer Monatszeitschrift teilte das Justizministerium mit, die Publikationen hätten "den Islam und die religiösen Elemente der islamischen Revolution herabgesetzt". Sie hätten immer wieder Material veröffentlicht, das sich gegen die Verfassung, das Pressegesetz und die nationale Einheit und Sicherheit richtete.

Die reformorientierte und Chatami nahe stehende Presse veröffentlichte daraufhin eine gemeinsame Stellungnahme, in der das Verbot der zwölf Publikationen kritisiert wird. Die Pressevertreter kündigten an, sie wollten "auf legalem Wege für ihre Rechte kämpfen". Zugleich riefen sie die Bürger zur Ruhe auf.

Zu den jetzt verbotenen Zeitungen gehört auch das Blatt "Fath". Erst am Samstag war ein Mitglied der Redaktionsleitung dieser Zeitung, Akbar Ganji, wegen Verletzung des Pressegesetzes und der Teilnahme an einer Konferenz in Berlin "vorübergehend in Haft" genommen worden. Der Verleger von "Fath", der frühere iranische Vize- Präsident Abdullah Nuri, sitzt bereits im Gefängnis.

Am Sonntag hatte ein Gericht in Teheran eine Haftstrafe von 30 Monaten gegen Latif Safari, Verleger der bereits zuvor verbotenen Zeitung "Neshat", bestätigt. Der Herausgeber von "Neshat", Maschallah Schamsol-Waesin, wurde ebenfalls in diesem Monat zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Ganji hatte an einer Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin teilgenommen, die am 8. April von linken und marxistischen Exil-Iranern gestört worden war. Das von Konservativen beherrschte staatliche iranische Fernsehen zeigte Bilder von den Tumulten. Unter dem Vorwurf, "Iran im Angesicht von Konterrevolutionären eine Schande bereitet" zu haben, wurden die 17 iranischen Teilnehmer der Veranstaltung vom Revolutionsgericht in Teheran vorgeladen.

Reformpolitiker befürchten, mit der jüngsten Kampagne wollten konservative Kräfte den Beginn der neuen Legislaturperiode verzögern. Im neuen Parlament, das seine Arbeit am 27. Mai aufnehmen soll, verfügen die Reformer über eine Zweidrittelmehrheit. Die Stichwahlen zum Parlament, die ursprünglich für den 21. April (Freitag) geplant waren, wurden auf Druck der Konservativen verschoben. Vor einer Woche hatte das scheidende Parlament mit der Mehrheit der Konservativen noch ein schärferes Presserecht verabschiedet.