Neue Zürcher Zeitung 26.04.2000 Zerrissene Führung der Türkischzyprioten Rauf Denktasch als Präsident von Nordzypern vereidigt Nach einem umstrittenen ersten Wahlgang ist der Führer der Türkischzyprioten, Rauf Denktasch, am Ostermontag zum viertenmal zum Präsidenten seiner völkerrechtlich nur von Ankara anerkannten Türkischen Republik Nordzypern vereidigt worden. Die Umstände seiner Wahl brachten eine Zerrissenheit der politischen Führung der Inseltürken ans Licht. it. Istanbul, 25. April Am Ostermontag ist in Nikosia, wie bereits kurz berichtet, der Führer der Türkischzyprioten, Rauf Denktasch, vor der parlamentarischen Volksversammlung der nur von Ankara anerkannten Türkischen Republik Nordzypern für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren als Präsident vereidigt worden. Denktasch tritt damit seine vierte Amtszeit an. Nie zuvor war er aber in seiner Volksgruppe derart umstritten wie jetzt. Bei den Wahlen vom 15. April hatte der 76jährige Politiker 43 Prozent der Stimmen erhalten. Laut der geltenden Verfassung in Nordzypern ist die absolute Mehrheit der Stimmen für die Wahl eines Präsidenten notwendig. Erreicht keiner der Kandidaten diese bei der ersten Wahlrunde, müssen innerhalb einer Woche Stichwahlen abgehalten werden. So weit kam es in Nordzypern aber nicht. Politische Turbulenzen Zwei Tage vor dem entscheidenden Wahlgang hatte der zweitplacierte Kandidat, der konservative Ministerpräsident Dervis Eroglu, völlig überraschend seine Kandidatur zurückgezogen. Wie er kurz vor seinem Rücktritt in engstem Kreis versicherte, sei er zu diesem Schritt von Ankara gezwungen worden. Türkische Agenten hätten ihn verfolgt und sein Telefon abgehört, sagte er. Zudem hätten Spezialeinheiten der türkischen Armee das Haus seiner Tochter umstellt. Obwohl Eroglu diese Aussagen in der Öffentlichkeit nicht bestätigte, hat sein Rückzug aus dem Präsidentenwahlkampf in Nordzypern politische Turbulenzen ausgelöst. Die sozialdemokratische Türkische Volkspartei sprach von einer türkischen Einmischung und hat Klage eingereicht, um das in ihrer Sicht verfassungswidrige Wahlresultat zu annullieren. Der bedrängte Denktasch forderte seinen ehemaligen Mitstreiter Eroglu auf, seinen Posten als Ministerpräsidenten zur Verfügung zu stellen. Eroglu lehnte die Forderung entschieden ab. Die politischen Turbulenzen innerhalb der nordzypriotischen Führung fanden in den Medien der Türkei auffallend wenig Beachtung. Nordzypern sei zu einem Protektorat der Türkei geworden, sagte im Gespräch der unabhängige Kandidat aus der ersten Wahlrunde, Turgut Afsaroglu. Diese provokative Einschätzung wiedergibt eine in der türkischzypriotischen Bevölkerung verbreitete Grundstimmung. Die Inseltürken sehen sich zunehmend als Verlierer im Zypernkonflikt. Das Scheitern der bisherigen Versuche für eine Lösung der geteilten Insel lasten sie weniger den Inselgriechen an, sondern sie machen vermehrt ihren «ewigen Führer» Denktasch dafür verantwortlich. Da dieser seit 1974 der erklärte Favorit Ankaras ist, richtet sich die Frustration und die Wut vieler Inseltürken gegen das Mutterland Türkei. Die türkische Armee wird in weiten Kreisen nicht mehr als Retterin, sondern als Instrument der Unterdrückung empfunden. Türkische Truppen wurden 1974 nach Zypern geschickt, um die rund 170 000 Personen zählende türkischzypriotische Gemeinschaft vor Übergriffen der Inselgriechen zu schützen. Derzeit sind auf Nordzypern 35 000 türkische Soldaten permanent stationiert. Hinzu kommen rund 20 000 türkische Studenten, die in einer der sechs privaten Universitäten Nordzyperns studieren. Obwohl die Zahl der Siedler aus dem Mutterland unbekannt bleibt, ist die Demographie offensichtlich verändert worden. Das Ausbildungs- und Fernmeldewesen, die Polizei und die Post unterliegen der Kontrolle der türkischen Armee. Chancen für eine Lösung? Der Ruf nach einer Lösung der Zypernfrage und nach einem raschen Beitritt der gesamten Insel in die Europäische Union wird vermehrt auch in Kreisen der konservativen Wähler laut. Diese veränderte Stimmung ist offenbar auch Denktasch nicht entgangen. Gegenüber dem stellvertretenden Regierungschef Mustafa Akinci versicherte er, er wolle bei der Gesprächsrunde mit den Inselgriechen am Uno-Sitz in New York im Mai auf zwei seiner bisher zentralen Forderungen verzichten. So soll die Anerkennung der Republik Nordzypern nicht, wie bis anhin, eine Vorbedingung für eine auszuhandelnde Lösung sein. Zudem schliesst Denktasch offenbar auch direkte Gespräche mit den Inselgriechen nicht mehr aus. |