Neue Zürcher Zeitung 26.04.2000 Maulkorb für Khatamis Reformpresse in Iran Mahnung des Präsidenten zur Zurückhaltung Die iranische Reformbewegung ist der wachsenden Herausforderung durch die Konservativen mit Zurückhaltung begegnet. Der Maulkorb der Justiz für zwölf liberale Blätter führte zu keinen Massendemonstrationen. Präsident Khatami verfolgt die Strategie, bis zum Zusammentreten des neuen reformerischen Parlaments jegliche Konfrontation zu vermeiden. vk. Beirut, 25. April In Iran stellen sich dem Übergang von einem konservativen zu einem reformerischen Parlament wachsende Hindernisse entgegen, welche das verzweifelte Bestreben der Konservativen nach Verbleib an der Macht deutlich machen. Besonders das von der Justizverwaltung am Ostersonntag erlassene Erscheinungsverbot gegen zwölf liberale Zeitungen gleicht einem Versuch zur Neuinszenierung der Studentenunruhen vom vergangenen Sommer. Damals hatte der Maulkorb für ein einziges Reformblatt, «Salam», die Studenten auf die Strasse getrieben, was nach einer brutalen Unterdrückungsaktion der Polizei in einem Studentenheim zu mehrtägigen blutigen Zusammenstössen in Teheran geführt hatte. Doch diesmal überlassen die nach Reform dürstenden Aktivisten die Strasse den Konservativen, welche seit einigen Tagen stramm für den Revolutionsführer Khamenei, für die Erhaltung der islamischen Werte und gegen die angeblichen Bilderstürmer demonstrieren. Friedlicher Protest gegen die Zeitungsverbote regte sich einzig vor Universitäten in Teheran. Vorbereitung eines Putsches? Khamenei hat sich allem Anschein nach zunehmend ins konservative Lager hinüberziehen lassen, seit er Mitte April aus einer gemässigten Warte zur Begrenzung der Reformen nach Massgabe des Islams aufgerufen hatte. Was sich damals im Einklang mit Präsident Khatamis Regierungsprogramm wie eine Kampagne gegen Korruption der Beamtenschaft und für eine klare Verwaltungsstrategie ausnahm, verwandelte sich eine Woche später in einen Feldzug gegen zehn bis fünfzehn Reformzeitungen, welche keinen Respekt für den Golfkrieg und die Streitkräfte mehr hätten und das Vertrauen des Volkes in die Islamische Republik untergrüben. Besonders störte Khamenei, dass die liberale Presse den vereitelten Mordanschlag auf den Journalisten und Reformer Hejarian ohne klare Beweise den Sicherheitskräften der Revolutionswächter anlastete. Die Liberalen glauben hinter diesem Attentat ein Komplott zu erkennen, das durch die Liquidation von führenden Freidenkern auf die Provokation gewaltsamer Proteste abzielt - diese könnten dann von den Revolutionswächtern samt Khatamis ganzer Regierung in einem Putsch hinweggefegt werden. Am Dienstag sagte aber freilich in der ersten Gerichtsverhandlung im Fall Hejarian der Hauptangeklagte aus, er habe das Verbrechen mit wenigen Komplizen und ohne Hintermänner verübt. Verhinderung des neuen Parlaments? Die Konservativen gehen systematisch gegen die Vorkämpfer der Reformen vor, als wollten sie Khatamis wichtigste Errungenschaft, die freie Presse, ganz zunichte machen. Nur der engste Kreis des Präsidenten wird nicht angetastet. So blieben vom jüngsten Erscheinungsverbot vier liberale Blätter verschont, unter ihnen die «Musharakat» des Bruders von Khatami und Führers der Reformpartei sowie die führende Stimme «Sobh-e Emrouz». Der freie Journalist Akbar Ganji hingegen, der unentwegt über die Rolle des Geheimdienstes in einer früheren Mordserie gegen Freidenker recherchiert hatte, wurde am Samstag wegen unliebsamer Äusserungen an einer Berliner Veranstaltung verhaftet. Gegen den Reformgeistlichen Eshtivari erging am Dienstag ein Haftbefehl wegen Verhöhnung des Islams an der gleichen Berliner Veranstaltung. So gewinnt der Klub der Freidenker im Evin-Gefängnis von Teheran, angeführt vom ehemaligen Innenminister Abdallah Nuri, laufend weitere Mitglieder. Am Sonntag stiess der Herausgeber der schon früher verbotenen Zeitung «Neshat» hinzu. Khatami hat offenbar Bedenken, dass er auch um den erdrückenden Wahlsieg seiner Anhänger im neuen Parlament betrogen werden soll. Der konservative Wächterrat, dem die Oberaufsicht über den Urnengang obliegt, hat noch immer kein endgültiges Resultat des ersten Urnengangs vom Februar anerkannt. Zudem verlangt er Neuauszählung der Urnen in immer anderen Wahlkreisen. Ende Mai soll nach dem Gesetz das neue Haus zusammentreten, dabei konnte noch nicht einmal der zweite Wahlgang angesagt werden. Um nur ja keinen Anlass zur Störung der öffentlichen Ordnung zu geben, nahm Khatami den Maulkorb für die Presse ruhig hin und mahnte an einem Feiertag der Streitkräfte nur zur Zurückhaltung: «Heute, besonders heute, brauchen wir Ruhe, wenn das neue Parlament antreten soll.» Er verbarg freilich seine grossen Hoffnungen auf den Mehrheitswechsel nicht, «dann können wir endlich Fortschritte machen und unsere grundlegenden Probleme lösen». |