Facts (Schweiz) 27.04.00 Kriegsgrund Wasser Auf dem Blauen Planeten wird das Trinkwasser knapp. In den Krisenregionen ist der Kampf ums Wasser entbrannt: Es drohen bewaffnete Konflikte und Bürgerkriege. Von Andreas Zumach Hosni Mubarak war vergangene Woche optimistisch wie selten. Die Friedensverhandlungen zwischen Israel, Syrien und dem Libanon könnten bald wieder aufgenommen werden, sagte der ägyptische Präsident nach einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und Palästinenserführer Yassir Arafat: «Das wäre das Ende des Problems im Nahen Osten.» Die Chancen auf Frieden in der Region sind zwar gestiegen, doch das heikelste Problem bleibt ungelöst: Die Versorgung mit Trinkwasser ist der Stolperstein auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten. Um das Wasser des Jordan-Flusses kämpfen schon heute alle Anrainerstaaten: Israel und Jordanien, der Libanon, die Palästinenser und Syrien. Um die Grundwasserreserven, die unter der Westbank liegen, wird gestritten. Und auch die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien macht Israel von Wassergarantien abhängig. Für die Nahost-Experten ist klar: Der Kampf ums Wasser könnte alle Friedensbemühungen zunichte machen. «Der nächste Krieg wird dort nicht aus politischen Gründen geführt, sondern um Wasser», prophezeite der Ex-Uno-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali. Die Gefahr von Kriegen um den Zugang zu Wasser nimmt fast überall auf der Welt zu, weil Trinkwasser ein immer knapperes Gut wird. Schon heute herrscht in 50 der 188 Uno-Staaten zum Teil erhebliche Wasserknappheit - vor allem in Afrika und im Nahen Osten. 1,2 Milliarden Menschen - ein Fünftel der Weltbevölkerung - haben keinen Zugang zu genügend Trinkwasser in guter Qualität. Diese Zahl wird sich in den nächsten 25 Jahren sogar noch verdoppeln, falls die Entwicklung wie bisher weitergeht. «Der zunehmende Wassernotstand könnte in den nächsten Jahrzehnten internationale bewaffnete Konflikte oder Bürgerkriege auslösen», warnte vor wenigen Wochen Klaus Töpfer, der Direktor des Uno-Umweltprogramms. Um solche Wasserkriege zu verhindern, schlagen Experten vor, die Wasservorräte künftig effektiver und nachhaltiger zu nutzen und gerechter zu verteilen. Ob und wie das möglich ist, soll am prominent besetzten Weltwasser-Forum gezeigt werden. 160 Länder, wichtige Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaftsvertreter nehmen an diesem Forum teil, das vom 17. bis zum 25. März unter dem Patronat der Unesco in Den Haag durchgeführt wird. Die Schweizer Delegation wird von Staatssekretär Philippe Roch geleitet. Neben dem Nahen Osten gibt es vier weitere Weltregionen, wo die Kriegsgefahr derzeit am grössten ist oder sogar bereits bewaffnete Konflikte stattgefunden haben: Um das Wasser des Nils konkurrieren in Nord- und Ostafrika gleich acht Länder. Um die Flüsse Euphrat und Tigris geraten sich die Türkei, Syrien und der Irak in die Haare. Um das Mekong-Delta in Südostasien ringen vier Länder. Und der Wasserstand des Ganges entscheidet in Indien und Bangladesch über das Leben von Dutzenden von Millionen Menschen. Wo ge-teilt werden muss, gibt es Verteilungskämpfe. Weltweit sind rund 800 Gewässer gleichzeitig für die Wasserversorgung von mehreren Staaten von grosser Bedeutung. In Nordamerika kommt es etwa zwischen den USA und Mexiko immer wieder zu Auseinandersetzungen um den Colorado River. In Südamerika streiten sich Argentinien, Brasilien und Paraguay um den Paraná und den Rio de la Plata. In Afrika beanspruchen Kamerun, Nigeria, der Tschad und Niger Wasser aus dem Tschad-See. Der Grund ist immer der gleiche: Der Erde droht das Trinkwasser auszugehen, obwohl ihre Oberfläche zu mehr als zwei Dritteln von Wasser bedeckt ist. Doch 97,5 Prozent davon sind salzhaltiges Meerwasser - weder trinkbar noch zur Bewässerung geeignet. Die restlichen 2,5 Prozent Süsswasser sind zum grössten Teil nicht nutzbar: entweder weil sie in Gletschern, ewigem Schnee oder im Eis der Polarregionen gebunden sind. Oder weil sie als Grundwasser unzugänglich in der Erde liegen. Und vom theoretisch nutzbaren Wasser verdunstet das meiste oder wird von Pflanzen und Tieren verbraucht. Theoretisch stehen pro Mensch jährlich rund 1 Million Liter Trinkwasser zur Verfügung. Diese Pro-Kopf-Menge wird immer schneller immer kleiner. Die drei wichtigsten Gründe: Die Weltbevölkerung wächst rasant. Allein zwischen 1987 und 1999 nahm sie um eine Milliarde auf sechs Milliarden zu. Zweitens steigt die durchschnittliche Lebenserwartung auf allen Kontinenten. Und drittens gehen immer mehr Länder ähnlich verschwenderisch mit Wasser um wie die nördlichen Industriestaaten. Die Statistik ist eindeutig: Seit Mitte der Neunzigerjahre wächst der weltweite Wasserkonsum doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung. Was passiert, wenn nicht bald drastische Gegenmassnahmen eingeleitet werden, zeigt ein detailliertes Szenario der Uno. Es ist die Chronik einer angekündigten Katastrophe: Bis zum Jahr 2005 werden neu Kenia, Marokko, Ruanda, Somalia und Südafrika zu den wasserknappen Länder hinzukommen. In Afrika südlich der Sahara könnten dann die Konflikte um Wasser noch weit stärker eskalieren als in der Nilregion oder im Nahen Osten. Grund dafür ist das hohe Bevölkerungswachstum in Afrika. Die Wasserversorgung eines Landes wird als angespannt definiert, wenn pro Einwohner jährlich weniger als 1700 Liter Wasser aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung stehen - 4,7 Liter pro Tag. Bis zum Jahr 2010 wird laut Uno in vielen Millionenstädten der Länder des Südens extremer Wassermangel herrschen. Als besonders gefährdet gelten Kairo, Lagos, Peking, Bombay und São Paulo. Bis zum Jahr 2025 wird der durchschnittliche Wasservorrat pro Kopf auf einen Drittel der Menge von 1950 sinken. Dann haben laut Uno zwei Drittel der Menschheit einen «ernsthaften Wassermangel». Ab diesem Zeitpunkt ist auch in den Industriestaaten des Nordens wie etwa den USA mit erheblichem Wassermangel und mit internen Konflikten zu rechnen: Wegen der Übernutzung von Flüssen und Seen wird der Grundwasserspiegel sinken und Gewässer wie der Colorado River drohen langsam auszutrocknen. Bis zum Jahr 2050 wird der Rohstoff Wasser gemäss Uno-Prognosen für die meisten Länder wichtiger sein als Öl. Dann könnten mindestens zwei Milliarden Menschen sogar von akutem Trinkwassermangel betroffen sein. Spätestens dann sind Kriege kaum mehr zu verhindern. Damit sich dieses Szenario nicht bewahrheitet, wird seit Anfang der Neunzigerjahre im Rahmen der Uno verstärkt nach Auswegen gesucht. Ziel aller internationalen Bemühungen ist die Vereinbarung einer internationalen Wassercharta, die völkerrechtlich verbindlich ist und zügig umgesetzt wird. Zur Unterstützung dieser Bestrebungen wurden auf dem grossen Umwelt- und Entwicklungsgipfel der Uno 1992 in Rio de Janeiro zwei internationale Netzwerke von Nichtregierungsorganisationen gegründet: Der World Water Council und die Global Water Partnership werden am Weltwasser-Forum in Den Haag ihre Strategien für ein besseres Wasser-Management vorstellen. In beiden Netzwerken arbeitet auch die Schweiz mit. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit unterstützt in verschiedenen Staaten Afrikas und Asiens Projekte zur nachhaltigeren Wassernutzung. Denn gerade die Übernutzung von Gewässern kann für Mensch und Natur verheerende Konsequenzen haben und ganze Sozialsysteme zerstören. Drastisches Beipiel dafür ist der Aralsee, der zwischen Kasachstan und Usbekistan liegt. Gespeist von den Flüssen Syr Daria und Amu Daria, war er noch vor zwanzig Jahren der viertgrösste Binnensee der Welt. Das Desaster begann Ende der Siebzigerjahre, als die damalige Sowjetunion die beiden Flüsse anzapfte, um ein gigantisches Landwirtschaftsprojekt zu bewässern. Damit wurde dem Aralsee der grösste Teil der Wasserzufuhr entzogen. Konsequenz: Der See schrumpfte stetig, und sein Salzgehalt stieg. Salz wehte vom trockengelegten Teil des Seebodens in die angrenzenden landwirtschaftlichen Gebiete. Heute ist das Land darum unfruchtbar. Die Übernutzung des Aralsees hatte noch weitere Folgen für die Region: Durch die Versalzung wurde der früher reiche Fischbestand des Sees völlig zerstört. Die Menschen verloren ihre Nahrungsgrundlage und ihre wichtigste Einnahmequelle. Noch vor zwanzig Jahren lagen ihre Städte und Dörfer direkt am Seeufer. Heute sind sie mehrere Kilometer vom geschrumpften See entfernt. Er ist seit einiger Zeit sogar durch eine Sandbank in zwei Teile getrennt. Allein zwischen 1990 und 1992 schrumpfte sein Wasservolumen um weitere zehn Prozent. Der Aralsee wird ohne neue Wasserzufuhr in wenigen Jahrzehnten völlig von der Landkarte verschwunden sein. Übernutzung droht bald auch dem Nil - und Krieg. Im Niltal, drei Autostunden südlich der Stadt Assuan, wird an einem gigantischen Projekt gearbeitet, das in Ägypten gerne «Pyramide des 21. Jahrhunderts» genannt wird. Riesige Schaufelbagger fressen seit drei Jahren langsam den Toschka-Kanal in den Wüstenboden. Geplant ist ein 800 Kilometer langer künstlicher Nebenarm des Nil vom Assuan-Staudamm bis zu den Oasen nahe der libyschen Grenze. Am Ufer des Staudamms soll ab Juli 2002 die grösste Pumpstation der Welt in Betrieb sein. Dann werden täglich 25 Milliarden Liter Nilwasser in den Kanal gepumpt, um einen Wüstenteil zu bewässern, der halb so gross wie die Schweiz ist. Ägypten ringt verzweifelt um bebaubares Land, denn 90 Prozent seines Territoriums ist Wüste. Über 60 Millionen Ägypter drängen sich in der Enge des Niltals - auf einer nutzbaren Fläche, die knapp so gross wie die Schweiz ist. Und jährlich kommt etwa eine Million Menschen hinzu. Das Projekt stösst auf grosse Bedenken bei Ägyptens südlichem Nachbarn Sudan und den anderen Nil-Anrainerstaaten (Äthiopien, Uganda, Kenia, Tansania, Burundi, Kongo). Die Regierung Mubarak kann die Frage nicht beantworten, woher die fünf Milliarden Kubikmeter Nilwasser kommen sollen, die Ägypten nach Inbetriebnahme des Toschka-Kanals jährlich zusätzlich aus dem Assuan-Staubecken herauspumpen will. Der Konflikt ist programmiert. Denn auch der Sudan will eigentlich mehr Wasser aus dem Nil nutzen und würde darum nördlich der Hauptstadt Khartoum gerne einen Staudamm bauen. Äthiopien wiederum möchte mit Hilfe von Staudämmen mehr Nilwasser abzweigen, um den trockenen Nordwesten des Landes an der Grenze zum Sudan zu bewässern. Solche Staudämme würden die Wassermenge des Nils in Ägypten deutlich reduzieren. Das lehnt die Regierung Mubarak, die sich auf bilaterale Verträge aus den Jahren 1902 und 1959 stützen kann, kategorisch ab. Hosni Mubarak ist fest entschlossen, den Toschka-Kanal kompromisslos gegen alle ökologischen Bedenken und gegen die Einwände der anderen Nil-Anrainerstaaten fortzusetzen. Im Nahen Osten ist der ägyptische Präsident optimistisch für den Frieden. In seiner eigenen Region riskiert er einen Krieg - wegen Wasser. |