junge Welt 28.4.2000 Vogelfrei in der Türkei Kurden mit Paßeintrag diskriminiert. Festnahmen ohne Ende »Jeder ist, unabhängig von seiner Sprache, Farbe, Rasse, Geschlecht, politische Gesinnung, Religion u. a., vor dem Gesetz gleich.« So steht es in Paragraph 10 der Verfassung der Republik der Türkei. Dagegen sieht der Paragraph 312 eine Haftstrafe von ein bis drei Jahren in folgenden Fällen vor: »Das Volk auf der Grundlage der religiösen, regionalen, rassischen und sozialen Unterschiede zur Feindseligkeiten und Haß aufzurufen.« Kazim Özek ist türkischer Staatsbürger und besitzt einen Ausweis der Türkischen Republik. Er ist in Malazgirt in der Provinz Mus (kurdisch) geboren. Die Gesetze gelten, wie für jeden Staatsbürger, auch für ihn. Doch was Özek bisher erlebt hat, macht einmal mehr deutlich, daß in der Türkei auch andere »Realitäten« existieren. Özek flüchtete aus seiner Heimatstadt nach Istanbul. Hier wurde er routinemäßig festgenommen, nur weil er ein Kurde ist. Als er vor ein paar Monaten wieder verhaftet worden war, hatten die Beamten der Antiterrorabteilung in seinen Ausweis die Nummer 994 011 eingetragen. »Selbst bei einer Verkehrskontrolle werde ich seitdem festgenommen. Die Numerierung ist gesetzeswidrig. Sie haben meine Identität beschmutzt. Ich habe dagegen Anzeige erstattet.« Die Geschichte seiner Flucht nach Istanbul in den Stadtteil Ayazma beginnt in dem Dorf Nuretin bei Malazgirt. Nachdem das sogenannte bewaffnete Dorfbeschützersystem eingeführt wurde, gab es für Özek keine Ruhe mehr. Mehrmals war er bis zu seiner Flucht festgenommen worden, immer wieder wurden Razzien durchgeführt, bis schließlich sein Haus zerstört worden ist. »Die bewaffneten Dorfbeschützer haben sich alles erlaubt. Wir konnten nicht in die Stadt. Falls wir das taten, haben uns die Gendarmen festgenommen. Wir wurden als PKK-Anhänger abgestempelt. Die Flucht war unsere einzige Möglichkeit.« Sieben Jahre liegt die Flucht Özeks nach Istanbul zurück. Doch mit der Flucht in die Bosporus-Stadt waren Verfolgung und Mißhandlung nicht zu Ende. Wie in seinem Heimatort gingen die Observierungen und Verhaftungen weiter. Auch die Verwandten in Özeks Heimatort wurden unter Druck gesetzt. Razzien, drei bis vier Hausdurchsuchungen pro Woche oder bis zu sieben Tage Untersuchungshaft waren im Leben Özeks keine Seltenheit mehr. Bei seiner letzten Verhaftung wurde Özek so schwer gefoltert, daß er seine Hände wochenlang nicht spüren konnte. »Die Polizei sagt uns immer wieder, geht in eure Heimat zurück. Doch wie soll ich das tun. In meinem Dorf ist alles zerstört«, sagt Özek. Er würde gern wieder zurückkehren, vorausgesetzt, die Umstände in seinem Heimatort normalisieren sich. Hacer Yücel / Muzaffer Özkurt |