junge Welt, 02.05.2000 Auch Problem der Deutschen In Jena berieten Migranten gemeinsame Strategien gegen restriktive Ausländergesetze Die Teilnahme mehrerer hundert Konferenzteilnehmer an der 1.-Mai-Demonstration bildete den Abschluß des elftägigen Kongresses der »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen« in Jena. Seit dem 20. April berieten dort Migranten und Nichtregierungsorganisationen über die aktuelle Situation von Flüchtlingen in der BRD. Der aus Nigeria stammende Sunny Omwenyeke vom »Karawane«- Organisationsbüro sieht das Treffen als »Riesenerfolg«. Immerhin kamen im Laufe der elf Tage mehr als 1 000 Menschen nach Jena - aus mehr als vierzig verschiedenen Nationen und vier Kontinenten. »Weitreichende Forderungen sowie die Durchführung politischer Kampagnen seien beschlossen worden, sagt der 35jährige Nigerianer, der seit November 98 in Wolfsburg lebt. Vor allem soll gegen die Illegalisierung von Migranten vorgegangen werden. Zudem forderten die Teilnehmer die Abschaffung des Gutscheinsystems, das Recht auf freie Wahl des Wohnortes, Unterbringung in Privatunterkünften sowie das Recht auf Bildung, Ausbildung und Arbeit. Seit 1998 versucht die »Karawane«, durch Selbstorganisation der Betroffenen Öffentlichkeit für die Situation von Migranten zu schaffen. Die Aktivisten wollen die Arbeit vernetzen und gemeinsam über alle Grenzen und alle politischen, religiösen und kulturellen Unterschiede hinweg Forderungen stellen und für die eigenen Rechte eintreten. Mit dem Kongreß in Jena soll die Zusammenarbeit verfestigt werden. Informationsaustausch, Koordination der geplanten Aktionen und gegenseitige Unterstützung sollen die Arbeit effektiver machen. Eines der Schwerpunktthemen des Kongresses war die Ausbeutung der Trikontstaaten durch die Industrienationen. »Es ist mir wichtig, von der Situation in meinem Heimatland berichten zu können«, sagt Lansana Gamara, der als knapp 15jähriger Guinea verlassen mußte und seit mehr als zwei Jahren in Hamburg lebt. »Der Kampf gegen Abschiebung ist für uns ein Kampf auf Leben und Tod.« Mit der Forderung nach Abschaffung der sogenannten Residenzpflicht, durch die der Bewegungsraum für Migranten extrem eingeschränkt wird, nahmen die Kongreßteilnehmer ein konkretes Projekt in Angriff. Nach dieser gesetzlichen Auflage dürfen sich Flüchtlinge nur in dem Landkreis aufhalten, in dem sie untergebracht sind. Wollen sie diesen verlassen, müssen sie eine Genehmigung beantragen. Nach Angaben eines Kongreßdokumentes ist diese Handhabung in der internationalen Praxis einmalig. Es würden nicht nur die elementarsten Rechte der Betroffenen eingeschränkt, auch würde die Rate der »Ausländerkriminalität« künstlich erhöht: »Erst werden Gesetze erlassen, gegen die wir gezwungen sind zu verstoßen, dann wird behauptet, wir seien kriminell«, so ein Teilnehmer gegenüber jW. Politiker und Medien benutzen diese Statistiken dann, um gegen Migranten zu hetzen. Mit der Kampagne gegen die Residenzpflicht sollen die Betroffenen motiviert werden, sich gegen dieses Gesetz zu engagieren. »Wir wollen Perspektiven für uns entwickeln«, sagt Lansana Gamara. »Die Frage ist, ob wir untätig abwarten, daß sich unsere Situation hier verändert oder ob wir dafür kämpfen.« Für Osaren Igbinoba, den Vorsitzenden der Organisation »The Voice, Afrikan Forum«, aus Jena ist das nicht nur »ein Problem von Migranten«. Es sei wichtig, so der Nigerianer, »daß die Deutschen begreifen, daß die Verletzung von Menschenrechten im eigenen Land auch sie etwas angeht«. Trotzdem müßten sich auch die Betroffenen zu Wort melden. Birgit Gärtner, Jena
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