taz 3.5.2000 Der Segen der leeren Kassen Nach den katastrophalen Erdbeben im letzten Jahr ist das türkische Bruttosozialprodukt um sechs Prozent gesunken. Eine Folge: Militärprogramme werden gestreckt und Atomkraftwerke sind nicht finanzierbar ISTANBUL taz Bereits bei den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds im Dezember war das Militärbudget als großer Inflationsfaktor kritisiert worden. Nachdem die türkische Regierung sich für einen Vier-Milliarden-Dollar-Kredit auf ein strenges Antiinflationsprogramm verpflichten ließ und dann die schlechten Zahlen von 1999 auf dem Tisch lagen, war auch der Rüstungshaushalt kein Tabu mehr. Das erste Opfer waren neue Kampfhubschrauber, die für vier Milliarden Dollar angeschafft werden sollten. Die Entscheidung darüber, welcher der Bieterkonzerne den Zuschlag bekommen soll, wurde mehrfach verschoben und soll nun im Sommer erfolgen. Tatsächlich ist es wohl so, dass es in diesem Jahr dafür überhaupt kein Geld gibt und das gesamte Projekt weiter gestreckt wird. Dasselbe zeichnet sich zur Freude der Bundesregierung in Berlin bei der Beschaffung von 1.000 neuen Kampfpanzern ab. Statt, wie ursprünglich angedroht, im Juli, soll eine Entscheidung über Leopard-II-, amerikanische M1-A2- oder urkrainische T-84-Panzer jetzt erst Ende des Jahres fallen, wobei man getrost davon ausgehen kann, dass es auch noch ein paar Monate länger dauern wird. Stattdessen kümmert sich das Heer im Moment erst einmal um die Modernisierung ihrer vorhandenen Panzer. In Israel sollen die alten Modelle aufgepeppt werden. Die leeren Kassen zwingen aber nicht nur das Militär zu ungewohnter Zurückhaltung, auch ein weiteres gefährliches Prestigeprojekt könnte dem Rotstift zum Opfer fallen. Seit Jahren wird in der Türkei über den Bau eines Atomkraftwerkes als Einstieg in die Nutzung der Nuklearenergie diskutiert. Das erste von insgesamt zehn AKWs soll am Mittelmeer östlich von Antalya in Akkuyu gebaut werden. Was jahrelange Proteste, die Hinweise auf Erdbebengefährdung und die weltweite Abwendung von AKWs nicht vollbrachten, schafft jetzt der Sparzwang. Auch die Entscheidung über den Bau wurde mehrfach verschoben. Bei der letzten Kabinettsberatung über Akkuyu sagte der Finanzminister dann ganz offen, dass zur Zeit einfach kein Geld für ein AKW aufzutreiben ist. Das Vorhaben ist deshalb nicht endgültig vom Tisch, dürfte aber erst einmal für ein Jahr von der Prioritätenliste gestrichen sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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