Stuttgarter Zeitung, 4.5.2000 Alles relativ Die Statistik ist ein wohlfeiles Mittel der Politik, wenn man sie richtig einzusetzen versteht. Immerhin hat Innenminister Schäuble diesmal noch einigermaßen der Versuchung widerstanden, die sensiblen Daten über die politisch motivierten Straftaten des Jahres 1999 parteipolitisch auszuschlachten. Für Besorgnis über die ungute Entwicklung in einigen Bereichen der Kriminalität besteht zwar Anlass, aber Zahlen allein sagen dazu wenig aus. Die Ergebnisse sind relativ. Die Problematik bei der Auswertung von Statistiken liegt schon darin, dass sich selbst geringe Veränderungen bei niedrigen Zahlenwerten oft in hochgradigen Prozenten niederschlagen. Ist ein Rückgang bei den fremdenfeindlich motivierten Straftaten im rechtsextremistischen Bereich von 302 auf 246 Delikte Anlass zur Entspannung oder nicht? Wie ist die zahlenmäßig starke Zunahme der Fälle von Körperverletzung bei der politisch motivierten Ausländerkriminalität um sieben auf 23 zu deuten? Oder: Was bedeutet der Zuwachs der linksextremistisch motivierten Straftaten von 316 auf 330? Alles ist relativ. Einer ernsthaften Bewertung entziehen sich solche statistischen Größen zumindest, solange man nicht zusätzliche Vergleichswerte heranzieht, die Dunkelziffer und den Zufallsfaktor einbezieht und den längerfristigen Trend berücksichtigt. Ein für den leichtfertigen Umgang mit Statistiken besonders beliebtes Feld ist die Ausländerkriminalität, im vorliegenden Fall der politisch motivierte Bereich. Laut Innenministerium hat die Zahl der einschlägigen Straftaten im Berichtsjahr um 38,1 Prozent zugenommen. Ein ¸¸deutlicher Anstieg'', wie Minister Schäuble feststellt. Nur: Bundesweit betrug der Zuwachs 51 Prozent. Die mit Abstand meisten Fälle bezogen sich auf einen einzigen Komplex, nämlich die kurdische Arbeiterpartei PKK; schon die Werbung für diese verbotene Vereinigung ist ein Verstoß gegen das Vereinsgesetz und schlägt sich in der Kriminalstatistik nieder. Die auffällige Zunahme der Delikte hatte mit einem einmaligen Ereignis zu tun, nämlich mit der Festnahme des PKK-Anführers Öcalan. Der Vorgang taugt nicht zur Verallgemeinerung. Man sollte diese Form der Ausländerkriminalität nicht verharmlosen, aber auch nicht überbewerten. Im Übrigen ist es keineswegs so, dass es der Innenminister dabei belässt, die Entwicklung zu beklagen. So gibt es seit mehr als einem Jahr beim Landeskriminalamt eine ¸¸Sonderkommission PKK'', und die hat auch schon drei Verdächtige festgenommen. Ist das nun viel oder wenig? Von Klaus Fischer |