junge Welt, 05.05.2000 Ausländerbehörde mißachtet Attest Niedersachsen: Rechtswidrige Abschiebung in letzter Minute verhindert Nach einer Intervention des Niedersächsischen Flüchtlingsrates hat das Innenministerium in Hannover am Dienstag die Abschiebung eines Kurden in die Türkei buchstäblich in letzter Minute gestoppt. Der 18jährige Asylbewerber Abdulaziz C. war am frühen Morgen von Polizeibeamten aus seiner Wohnung im Landkreis Uelzen geholt worden. Als das Ministerium die Aktion abbrach, befand sich der Kurde bereits auf der Fahrt zum Düsseldorfer Flughafen. Von dort aus sollte um 12 Uhr das Flugzeug nach Istanbul starten. Die Ausländerbehörde des Landkreises Uelzen hatte die Abschiebung angeordnet, obwohl der Behörde ein fachärztliches Attest vorlag, in dem C. eine hohe Selbstmordgefährdung, psychische Traumata und Reiseunfähigkeit bescheinigt werden. Dies bedeutet nach dem Ausländergesetz ein Abschiebehindernis. Der Versuch, den Kurden gegen seinen Willen auszuweisen, sei somit rechtswidrig gewesen, sagte Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Abdulaziz C. stammt nach eigenen Angaben aus einem Dorf im Südosten der Türkei. Da sein älterer Bruder die PKK unterstützt habe, sei die Familie immer wieder von türkischem Militär bedroht und belästigt worden. Soldaten hätten den Vater mehrfach im Beisein der Kinder verprügelt. Als der Bruder 1998 nach Deutschland floh, habe das Militär die Familie noch mehr schikaniert. Um ihn zu schützen, habe der Vater schließlich dafür gesorgt, daß auch Abdulaziz in die Bundesrepublik flüchten konnte. In dem Attest diagnostiziert ein Psychiater bei C. »schwere emotionale Störung«. Der Kurde sei »weder reise- noch haftfähig. Eine Abschiebung wäre ein erneutes schweres psychisches Trauma, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ihm in der Türkei Gefängnis, Mißhandlung oder sogar Ermordung droht«. Der Ministeriumssprecher in Hannover bestätigte gegenüber junge Welt, der Landkreis habe bei seiner Entscheidung das ärztliche Attest nicht beachtet. Der Ausländerbehörde sei jetzt aufgegeben worden, eine neuerliche Untersuchung des Flüchtlings durch einen Facharzt oder einen Amtsarzt zu veranlassen. Der Kurde ist inzwischen in seine Wohnung zurückgekehrt. Reimar Paul |