Berliner Zeitung, 5.5.2000 Abgeschobene Kurden wurden gefoltert Schutz erst nach erneuter Flucht aus der Türkei von Sigrid Averesch BERLIN, 4. Mai. Der Aufenthalt der Kurdin Can I. in Deutschland währte nur kurz. Im März vergangenen Jahres war sie aus der Türkei geflohen, weil die dortigen Behörden sie mehrmals wegen ihres Einsatzes für einen Menschenrechtsverein festgenommen und misshandelt hatten. Bereits im Dezember schoben deutsche Behörden I. wieder in die Türkei ab. Ihr Asylantrag sei "ohne jede Substanz", lautete die Begründung des Bundesamtes für die Anerkennung von Flüchtlingen. Kaum war I. wieder in der Türkei, griffen türkische Polizisten sie erneut auf. Diesmal wurde ihr vorgeworfen, in Deutschland an "Kirchenaktionen" und an PKK-Aktivitäten teilgenommen zu haben. "Ich wurde am Kopf, an den Augen und an verschiedenen Stellen meines Körpers geschlagen", schildert die Kurdin die Verhöre. Sie habe sich nackt ausziehen müssen und sei mit kaltem Wasser abgespritzt worden. Das Schicksal von I. ist kein Einzelfall. Noch immer droht aus Deutschland abgeschobenen Kurden in der Türkei Folter. Pro Asyl und der Niedersächsische Flüchtlingsrat dokumentierten jetzt 13 Schicksale von Flüchtlingen, bei denen deutsche Verwaltungsgerichte eine Gefährdung verneint hatten. Etwa beim 33-jährigen Ferit M., der nach Deutschland geflohen war, nachdem ihn Polizisten misshandelt hatten. M. sei eine Rückkehr in die Türkei zuzumuten, urteilten Hamburger Richter. "Ihm drohen dort keine gravierenden Beeinträchtigungen individuell-konkreter Art." Ein folgenschwerer Irrtum. Kurz nachdem der Abgeschobene in Ankara ankam, nahmen ihn Polizisten fest. Zehn Tage lang wurde M. verhört und mit Stromstößen gefoltert. Dann wurde der Bewusstlose in einen Wald geworfen. M. gelang erneut die Flucht. Inzwischen wurde ihm das "kleine Asyl" zugesprochen. In fünf weiteren Fällen, die mit Gutachten belegt werden, gewährten deutsche Behörden erst Schutz, nachdem Abgeschobenen erneut die Flucht gelang. Bereits 1999 hatten die Organisationen anhand von 19 Fällen die Verfolgung von Kurden dokumentiert. Zwar änderte das Auswärtige Amt seine Lageberichte, die den Gerichten als Grundlage für Urteile dienen. Doch nun werteten Richter "mehr denn je" Übergriffe türkischer Beamter "als Exzesse Einzelner", heißt es. Für den Niedersächsischen Flüchtlingsrat zeigen die Fälle zudem, dass das Bundesamt und Gerichte die vor der Abschiebung gestellten Asylanträge "mit stereotypen Begründungen" ablehnen. Oft werde auch unterstellt, dass Asylbewerber als "Mitläufer" keiner Verfolgung ausgesetzt seien. Die Organisationen warnen, dass bei der bisherigen Abschiebepraxis mit weiteren Opfern zu rechnen sei. Obwohl der Türkei die Beitrittsperspektive in die EU eröffnet worden sei, sei die Einhaltung der Menschenrechte in der Praxis noch nicht umgesetzt worden. |