taz 6.5.2000

"Ich bin sehr optimistisch"

Der iranische Geistliche Hassan Jussefi Eschkevari über die Chancen der Reformbewegung in seinem Land und den Widerstand der Konservativen

taz: Was halten Sie von der gegenwärtigen Strategie der Reformer, sich zurückzuhalten und abzuwarten?

Hassan Jussefi Eschkevari: Diese Strategie ist richtig. Die Konservativen versuchen, die Reformer und vor allem die Jugendlichen zu einer aggressiven Reaktion zu provozieren, um einen Vorwand zur Zerschlagung der Reformbewegung zu haben. Daher müssen die Reformer jetzt ihren Weg langsam und überlegt gehen. So lange, bis die Welle, die die Konservativen erzeugt haben, um die Konstituierung des nächsten Parlaments zu verhindern, vorbei ist.

Können die Konservativen den Reformprozess noch aufhalten?

Nein. Das Einzige, was sie tun können, ist, uns Probleme zu machen und damit - im schlimmsten Fall - den Reformprozess verlangsamen.

Wie muss sich Ihrer Meinung nach das Verhältnis von Religion und Politik in Iran ändern?

System und Regierung Irans sind laut Verfassung religiös. Sie gründen auf dem Prinzip der "Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten." Und auch die Reformer wollen im Moment nicht die Abschaffung des islamischen Systems. Aber unsere Verfassung enthält verschiedene Widersprüche, die das religiöse Wesen der Regierung betreffen und das Verhältnis der verschiedenen Regierungsinstitutionen zueinander. Diese Widersprüche führen dazu, dass in unserem Land Freiheit, Gewaltenteilung, Demokratie und allgemein die Dinge, die der Begriff Republik impliziert, nicht verwirklicht werden können. Wenn der Reformprozess weitergeht, dann müssen wir schließlich religiöse Institutionen und Regierung trennen.

Welche Rolle würde dann den Geistlichen zukommen?

Die Geistlichen würden für die Gesellschaft als Hüter der Religion noch eine wichtige Rolle spielen. Eine religiöse Gesellschaft bedarf einer religiösen Institution. Aber gleichzeitig wird sich das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Geistlichkeit und Regierung und Geistlichkeit entscheidend ändern. Die Geistlichen werden wieder unabhängiger von der Regierung sein. Sie werden sich wieder um ihren eigenen Bereich und ihre eigenen Pflichten kümmern. Und vor allem werden die Machtbefugnisse der Geistlichkeit in der Regierung eingeschränkt.

Sind Sie optimistisch, was die Zukunft Irans angeht?

Ich bin sogar sehr optimistisch. Heute sind die Menschen in einem Maße politisiert und informiert, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, den Fortschritt zu verhindern. Vielleicht muss das Volk einen noch größeren Preis zahlen, um Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu verwirklichen, aber es wird diesen Weg weitergehen. Wir leben im Zeitalter des Internet. Man kann nicht mehr die Menschen und vor allem die Jugendlichen in künstlichen ideologischen und politischen Grenzen gefangen setzen.

Interview: KATAJUN AMIRPUR