Berliner Zeitung, 5.5.2000 Irans Konservative schlagen zu Martina Doering Einige konservative Geistliche, Militärs und Revolutions-Veteranen in Iran sehen Haft, Repressionen und Presse-Zensur als die einzig geeigneten Mittel, "ihr" Volk auf den rechten Weg zurück zu zwingen. Ihrer Meinung nach ist das System gut, wie es ist. Reformen, Demokratie oder Bürgerbeteiligung aber sind verwerflich. Es stört sie dabei wenig, dass die Mehrheit der Iraner das anders sieht. Das zeigte sich zuletzt bei den Parlamentswahlen am 18. Februar. Die Reformkandidaten erzielten einen überwältigenden Sieg. Und würde auch die zweite Wahlrunde korrekt verlaufen, hätten sie die Zweidrittelmehrheit in der neuen Volksvertretung. Die Konservativen brauchten offensichtlich einige Zeit, um sich vom Schock ihrer verheerenden Niederlage zu erholen. Doch seit etwa vier Wochen landen sie einen Schlag nach dem anderen. Siebzehn Zeitungen wurden verboten. Die meisten von ihnen unterstützten die Reformbewegung "2. Khordad", benannt nach dem persischen Datum des Wahlsiegs von Präsident Chatami am 23. Mai 1997. Journalisten wurden festgenommen. Gegen alle iranischen Teilnehmer einer Konferenz in Berlin wurde Haftbefehl erlassen. Ihnen wird "Verunglimpfung der Islamischen Revolution" vorgeworfen. Der zweite Wahlgang wird sabotiert Alles deutet nun darauf hin, dass der zweite Wahlgang an diesem Freitag sabotiert wird. Sogar das Gesamtergebnis könnte annulliert werden. In einigen Städten wurden die Ergebnisse bereits aufgehoben. In Teheran steht die Bestätigung des Sieges von 30 Reformern noch aus. Verzögert sich diese Entscheidung weiter, werden das Präsidium und die Parlamentskommissionen ohne sie gebildet. Die Konservativen wollen das Volksvotum aushebeln. Zugleich versuchen sie, Proteste und eine gewaltsame Konfrontation zu provozieren. Sie hoffen, dass es zu Demonstrationen und Straßenschlachten zwischen Reformern und Konservativen kommt. Denn dann hätten das Militär und die Revolutionsgardisten einen Vorwand, um einzugreifen. Der Ausnahmezustand könnte verhängt und Chatami entmachtet werden. Die Konservativen schrecken nicht davor zurück, mit Gewalt die Liberalisierung des Systems rückgängig zu machen. Das beweisen die jüngsten Drohungen der Chefs von Armee und Revolutionsgarde. Vor einigen Tagen sollen konservative Politiker, Vertreter der Garde, der Polizei sowie des Fernsehens zudem eine Krisensitzung einberufen haben. Dabei seien Pläne für einen Putsch beraten worden, heißt es in Teheran. Ausländische Beobachter, iranische Exil-Gruppen und auch einige Reformanhänger kritisieren die vermeintliche Untätigkeit der Chatami-Regierung. Doch sie will alles vermeiden, was eine solche Eskalation auslösen könnte. Zum einen hat sie vor der Konstituierung des Parlaments auch keine andere Wahl: Schließlich sind Garde, Armee und Geheimdienste noch fest in der Hand der Konservativen. Zum anderen entsprechen sie damit dem Wunsch der meisten Iraner. Denn die wollen weder eine zweite Revolution noch möchten sie weitere Jahre ihres Lebens in Angst und Schrecken verbringen. Der Wunsch nach Reformen - unter Beibehaltung der islamischen Grundlagen des Systems - ist nichts Anderes als die Sehnsucht nach Normalität, Sicherheit und einem anständigen Auskommen. Im Bündnis mit Linksextremisten Diesen Wunsch, sollte man meinen, müssten auch Konservative und ihre Anhänger teilen. Doch zum Lager der Konservativen gehören nicht nur jene Geistlichen, die ihre Macht und Pfründe gefährdet sehen. Es sind auch religiöse Fanatiker darunter. Sie meinen zu wissen, was das Beste für das Volk ist. Das Volk aber ist für sie eine Masse von Menschen, die weltlichen Anfechtungen erliegen, wenn sie nicht durch Auserwählte davor bewahrt werden. Zu ihren Anhängern zählen zudem große und kleine Profiteure, die durch die Revolution einen Posten erhalten haben; die immer noch unbeirrt hoffen, dass die Versprechen auf soziale Gerechtigkeit eingelöst werden; die nicht wahrhaben wollen, dass sie zwanzig Jahre ihres Lebens für eine machtgierige Clique vergeudet haben. Ironischerweise sind diese Reformgegner ein Bündnis mit ihren einstigen Todfeinden, den Linksradikalen, eingegangen. Nach der Revolution von 1979 waren Gruppen wie die Maoisten, Feddayin und die Volksmudjahedin verfolgt und dann ins Exil gezwungen worden. Jetzt wollen sie wieder in die Geschehnisse eingreifen. Die von den Volksmudjahedin in den letzten Wochen verübten Terroranschläge in Teheran heizen die Situation zusätzlich an. Dadurch aber verringern sich die Erfolgsaussichten der Deeskalationsstrategie von Präsident Chatami und den Reformern. |