Rhein-Neckar-Zeitung, 6.5.2000 Prinzipienstreit vor Menschlichkeit? Der FDP-Bundestagsabgeordnete Dirk Niebel plädiert für eine humanitäre Lösung im Fall "Neshe" kib.»Hier werden Prinzipien vor Menschlichkeit gesetzt", meint der Heidelberger FDP-Bundestagsabgeordnete Dirk Niebel zum Fall , Neshe", der derzeit die Gemüter wieder bewegt. Der Liberale, der sich gemeinsam mit dem früheren Außenminister Klaus Kinkel schon seit langer Zeit für das Mädchen eingesetzt hat, sieht darin ein exemplarisches Beispiel dafür, dass in der Bundesrepublik dringend ein Zuwanderungsgesetz benötigt wird. Neben dem Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte und der "Green Card" für in Deutschland gebrauchte Experten müsste es seiner Ansicht nach auch die Möglichkeit "demographische Migration" von jungen Leuten wie eben "Neshe" geben. Der Abgeordnete bittet die Bevölkerung seines Wahlkreises um eine differenzierte Betrachtung der vertrackten Angelegenheit. "Neshe" solle zumindest die Chance gegeben werden, ihre Ausbildung zu beenden. Scharf wandte sich der FDP-Politiker gegen »die von der CDU losgetretene Arglist-Debatte" und die »vielfach verbreitete Häme". Eine Partei, die die Christlichkeit sogar im Namen führe, müsse auch einmal die menschliche der juristischen Betrachtungsweise vorziehen können. Zudem habe die junge Kurdin, die in Heidelberg nicht nur ihren Schulabschluss erwarb, sondern sich auch voll integriert habe, den Staat keinerlei Geld gekostet. Sogar jetzt stottere sie von ihrem Auszubildenden-Gehalt die Abschiebekosten ab, die sie ja nicht selbst zu verantworten habe. Die junge Heidelberger Kurdin Fena "Neshe" Özmen war im Jahr 1997 landesweit bekannt geworden, weil die damals 16-Jährige trotz heftiger Proteste in die Türkei abgeschoben wurde. Ende 1998 kam sie dann wieder für drei Monate zu einem Besuch nach Deutschland und heiratete kurz vor ihrer Rückreise einen in Stuttgart lebenden Cousin. Jener hat nun vor dem Familiengericht die Auflösung der Ehe erwirkt, weil sie nicht vollzogen worden sei und die 19-Jährige nicht bei ihm in Stuttgart, sondern in Heidelberg lebe. Da das Aufenthaltsrecht der mittlerweile 19-Jährigen an die Ehe gebunden ist, droht ihr nun die Abschiebung, obwohl sie seit einem Jahr eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin absolviert. Der kurzfristige Weg, über die Heirat zu einem Aufenthalt in Deutschland zu kommen, habe sich als schlimme Fehlentscheidung erwiesen, sagt Niebel. Man müsse jedoch auch sehen, dass sich die junge Frau in einer für sie existenziell bedrohenden Situation befunden habe. Er wolle die Entscheidung des Familiengerichts in keiner Weise kritisieren, doch halte er es "menschlich für nicht vertretbar", die Kurdin jetzt mitten in ihrer Ausbildung abzuschieben. Im Asylverfahren, dessen Ablehnung der Grund für ihre Abschiebung war, sei die damals noch Jugendliche ohnehin stets falsch angesiedelt gewesen, da Asyl nur bei nachgewiesener staatlichen Verfolgung gewährt wird. Deshalb könnten beispielsweise auch afrikanische Mädchen, denen Beschneidung drohe, kein Asyl in Deutschland bekommen: nach Ansicht von Niebel ein Unding. Auch humanitäre Aspekte sollten seiner Ansicht nach zu einer Aufenthaltsmöglichkeit führen können. Der FDP-Bundestagsabgeordnete fordert nachdrücklich, dass sich die Deutschen endlich Gedanken über Zuwanderung machen, und dass ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wird. Es gelte dabei genau zu ermitteln, wieviel das Land verkrafte und wieviel Menschen es brauche sowie wie es das politische Asyl in Zukunft handhaben wolle. Die Politik müsse endlich aktiv werden, damit ein Fall wie der von " Neshe" in Zukunft anders gehandhabt werden könne. Er selbst, so Niebel im RNZ-Gespräch. bedauere es keineswegs für "Neshe" aktiv geworden zu sein. Seine politische Devise sei es, den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen. |