web de 06.05.2000 15:36 Sezers Wahl stärkt Hoffnung auf demokratische Reformen Einsatz für mehr Meinungsfreiheit erwartet - Minister tritt wegen versuchter Verfassungsänderung Ecevits zurück - Ankara (AP) Politiker und Medien in der Türkei haben die Wahl des Vorsitzenden Richters des türkischen Verfassungsgerichtes Ahmet Necdet Sezer zum Staatspräsidenten des Landes begrüßt. Von Sezer werden entscheidende Impulse für demokratische Reformen in der Türkei erwartet. Der 58 Jahre alte Kandidat der Regierungskoalition war am Freitag im dritten Wahlgang mit 330 der 550 Stimmen im Parlament zum Nachfolger von Süleyman Demirel gewählt worden, dessen Amtszeit am 16. Mai endet. «Wir erwarten von Sezer, Verfassungsreformen voranzubringen», sagte Turan Alcelik, Generalsekretär der fundamentalistischen Tugendpartei (HP) nach der Wahl. Die HP begrüßte Sezers Einsatz für mehr Bürgerrechte. Sezer, der sich für Änderungen in der nach dem Militärputsch von 1980 eingesetzten Verfassung aussprach, beklagte auch in der ersten Pressekonferenz nach der Wahl das Fehlen eines Demokratieverständnisses im sozialen und politischen Leben des Landes. Ferner rief er zu wirtschaftlichen Reformen und zu hartem Vorgehen gegen die Korruption auf. «Vergessen Sie diese Worte nicht», mahnte die liberale Tageszeitung «Yeni Binyil» auf der ersten Seite ihrer Samstagsausgabe. Den Aussagen Sezers müssten nach der Amtsübernahme Taten folgen. Manche Analysten äußerten sich am Samstag allerdings eher skeptisch darüber, dass Sezer tatsächlich große Veränderungen bewirken könne. «Es ist von Vorteil, jemanden zu haben, der für Reformen ist», sagte der Politologe Ergun Ozbudun von der Bilkent-Universität Ankara. «Aber er wird nicht viel Einfluss haben.» Die Macht liege in den Händen des Parlaments. Das türkische Militär nahm noch keine Stellung zur Wahl. Ozbudun wertete dies als positives Zeichen. Das Schweigen des Militärs signalisiere sein Einverständnis, sagte er. Sezer betonte am Samstag erneut, er werde die weltliche Staatsordnung verteidigen. Mit Sezers Kritik an einigen Strafgesetzen sind die Militärs hingegen nicht einverstanden. Sie betrachten die Vorschriften als unverzichtbar zur Bekämpfung von Terrorismus. Sezer ist der erste Richter und der vierte Zivilist im Präsidentenamt der Türkei. Die übrigen sechs Amtsinhaber waren Generäle. Der im September 1941 in Afyon geborene Sezer studierte Rechtswissenschaften an der Universität von Ankara. Nach seinem Abschluss 1962 arbeitete er als Richter an mehreren Bezirksgerichten, bevor er 1988 ans Verfassungsgericht berufen wurde. Seit 1998 ist der Vater von drei Kindern der Vorsitzende des Gerichts. Ministerpräsident Bülent Ecevit war zuvor mit dem Versuch einer Verfassungsänderung gescheitert, um Demirel eine zweite Amtszeit zu ermöglichen. Aus Protest gegen die Bestrebungen Ecevits trat am Samstag der Kabinettsminister Mehmet Ali Irtemcelik zurück. |