taz Nr. 6136 vom 8.5.2000 Seite 11

Kommentar: Eskalationsgefahr

TROTZ REPRESSIONEN: REFORMER GEWINNEN ZWEITEN WAHLGANG IM IRAN

Egal was sie tun, sie machen es falsch. Das Ergebnis des zweiten Wahlganges der iranischen Parlamentswahlen zeigt, wie sehr die Konservativen in der Islamischen Republik den Kontakt zur Bevölkerung verloren haben. Darin steckt die eigentliche Gefahr.

Nachdem der erste Wahlgang mit einem Erdrutschsieg der Reformer geendet hatte, setzten die Konservativen auf gnadenlose Repression. Durch demonstrierte Macht glaubten sie die Bevölkerung so weit einschüchtern zu können, dass sie diesmal "richtig" wählen würde. Doch die Rechnung ging nicht auf. Unbeirrt marschierten die WählerInnen zu den Kabinen und notierten auf ihren Wahlzetteln die Namen der Reformkandidaten. Das Ergebnis hat gezeigt: 21 Jahre nach der Islamischen Revolution lässt sich Irans Bevölkerung nicht mehr durch Drohungen verschrecken.

Auch eine zweite Kalkulation der Konservativen versagte. Sie hofften, durch Verhaftungen und Verbote von Zeitungen lautstarke Proteste provozieren zu können, die dann als Vorwand herhalten sollten, um den Notstand auszurufen und die Parlamentswahlen abzubrechen. Sogar Pläne zum Sturz von Präsident Chatami sollen bereits in den Schubladen der Hardliner liegen. Doch die Reformer haben dieses Vorhaben vereitelt. Sie verordneten sich selbst einen Maulkorb und sorgten somit dafür, dass die Wahlen ordnungsgemäß stattfinden mussten.

Irans WählerInnen haben am Freitag eindrucksvoll ihren Wunsch nach Demokratie und Zivilgesellschaft ausgedrückt und den Konservativen erneut eine schallende Ohrfeige verpasst. Nun ist die Frage, wie viele solcher Watschen die Hardliner noch aushalten können und wie sie danach reagieren. Angesichts des Drangs der Konservativen, Fehler zu begehen, steht zu befürchten, dass dann die Situation richtig gefährlich wird. Denn noch eines haben die Ereignisse zwischen den beiden Wahlgängen gezeigt: Während das Reformlager und weite Teile der Bevölkerung auf den friedlichen Wandel setzen, sind die Konservativen bereit zur Gewalt. THOMAS DREGER