Frankfurter Rundschau, 9.5.2000 Schily nach Tod einer Asylbewerberin am Flughafen unter Druck Algerierin erhängte sich nach acht Monaten im Frankfurter Transit / Pro Asyl wirft Innenminister "tödliche Untätigkeit" vor Von Ursula Rüssmann Eine 40-jährige algerische Asylbewerberin hat sich nach Angaben der Frankfurter Kirchen in der Flüchtlingsunterkunft des Flughafens Rhein-Main erhängt. Es ist der erste Selbstmord eines Flüchtlings im umstrittenen Flughafen-Asylverfahren. Kirchen und Flüchtlingsverbände machen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) heftige Vorwürfe, weil er weiter an dem "inhumanen" Verfahren festhalte. FRANKFURT A.M., 8. Mai. Naimah H., so teilten der Evangelische Regionalverband Frankfurt und die Caritas am Montag mit, wurde schon am Samstagabend erhängt im Duschraum der Transitunterkunft gefunden. Nach ersten Untersuchungen der Kriminalpolizei handele es sich eindeutig um Suizid. Inzwischen beschäftigt der Fall die Staatsanwaltschaft. Die Algerierin saß bereits seit Anfang September 1999 im Transitbereich des Flughafens fest. Aus Algerien war sie nach eigenen Angaben geflohen, weil ihr Mann dort als "Terrorist" gesucht wurde und sie von algerischen Polizisten mehrfach vergewaltigt worden war. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte ihren Asylantrag aber ab. Auch das Frankfurter Verwaltungsgericht befand ihn Ende September für unglaubwürdig - nach Angaben des Regionalverbandes auch deshalb, weil Naimah H. sich nicht genau erinnern konnte, wann sie das erste Mal vergewaltigt worden war. Für die 40-Jährige begannen nun - mangels Ausweispapieren - Monate des Wartens auf die gefürchtete Rückführung nach Algerien, und das "unter haftähnlichen Bedingungen", wie die beiden Kirchenverbände und die bundesweite Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl einhellig kritisieren. Bereits bei ihrer Ankunft 1999 sei es der Frau schlecht gegangen; im Februar berichtete der Flughafensozialdienst, sie habe stundenlange Weinkrämpfe. Am 26. Februar brach sie zusammen und musste in die Klinik. Kurz zuvor hatte ihr Anwalt Andreas Metzner ans Bundesinnenministerium appelliert, die Einreise von Naimah H. aus humanitären Gründen zuzulassen - bis heute ohne Reaktion. Von "tödlicher Untätigkeit des Innenministers" spricht Pro Asyl und meint nicht nur den tragischen Tod der Algerierin. Vom rot-grünen Versprechen in der Koalitionsvereinbarung, "die Dauer des Flughafenverfahrens im Licht der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen", sei bisher nichts eingelöst, rügt Rechtsreferent Bernd Mesovic und wirft den Grünen vor, zu wenig Druck gemacht zu haben. Pro Asyl sieht durch den Tod der Algerierin, ebenso wie die Kirchen, die Forderung nach Abschaffung des Flughafenverfahrens drastisch bestätigt. Immerhin registrierten die Kirchenverbände seit 1997 insgesamt 18 Selbstmordversuche von Flüchtlingen am Frankfurter Airport - laut Caritasdirektor Hartmut Fritz Folge der "unerträglichen psychischen Belastung" der Flüchtlinge durch die "Langzeitinternierung". Beengter Raum, Fluglärm, keine Grünflächen, nur unzulängliche Trennung der Geschlechter - so beschreibt Rechtsanwalt Metzner die Verhältnisse im Transitbereich. Derzeit leben dort 42 Flüchtlinge, zehn von ihnen schon seit mehr als 100 Tagen. Vor kurzem noch hatte Amnesty International Frankfurt einen dramatischen Appell von etwa 30 Flüchtlingen im Flughafenverfahren erhalten, in dem diese über "inhumane und entwürdigende Bedingungen" und das "Fehlen jeglicher Intimität bei unserm Leben im Transit" klagen. Naimah H., so die Frankfurter Kirchen, habe diesem Druck nicht mehr standgehalten. Vom Bundesinnenministerium gab es dazu am Montag vorerst keine Stellungnahme. |