ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 438 / 11.05.2000 "Ein großer Schritt" Erster Flüchtlingskongress hat in Jena getagt Vom 20.April bis zum 1.Mai diskutierten TeilnehmerInnen des Kongresses "Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung" über mögliche Strategien, sich gegen die Menschenrechtsverletzungen bundesdeutscher Behörden zur Wehr zu setzen. Unterstützt von dem bundesweiten antirassistischen Netzwerk kein mensch ist illegal veranstaltete der städteübergreifende Zusammenschluss Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen die zwölftägige Tagung. Es war der erste Kongress in Deutschland, den Flüchtlinge selbst initiiert und organisiert haben. Keiner linken Teilbereichsbewegung gelingt es derzeit, über 600 Menschen zu einem Kongress zu mobilisieren, der an seinem Ende auch noch konkrete Zukunftsplanungen für Aktionen und Kampagnen vorweisen kann. - Der Karawane-Kongress ist eine Ausnahme: In Jena versammelten sich täglich zwischen 200 und 250 Flüchtlinge, MigrantInnen und antirassistische Gruppen, um zu überlegen, wie sie der menschenverachtenden deutschen Flüchtlingspolitik Paroli bieten können. Verteilt über zwölf Tage besuchten insgesamt rund 600 TeilnehmerInnen aus etwa 40 Ländern den Kongress. Mit dieser Feststellung sollen die Beteiligten nun nicht zum neuen Hoffnungsträger gemacht werden, die das leisten sollen, was deutsche Linke zur Zeit kaum gebacken bekommen. Auch haben sich einige der TeilnehmerInnen bisher nicht politisch betätigt und es ist fraglich, wie viele von ihnen tatsächlich bei der Stange bleiben. Es wird sich noch erweisen müssen, wie groß der Schritt ist, den der Kongress für die Selbstorganisation der Flüchtlinge gemacht hat. Auf jeden Fall hat der Kongress Beachtliches vorzuweisen. Die gute Resonanz verdankte der Kongress vor allem der Vorarbeit, die unter anderem Mitglieder der Organisation the Voice mit ihren Informationsreisen in zahlreiche Städte und deren Asylunterkünften geleistet haben. Über 1.000 Flüchtlinge hätten auf diese Weise von dem Kongress erfahren und ein Teil von ihnen sei auch tatsächlich nach Jena gekommen, sagt Cornelius Yufanyi von The Voice. In erster Linie trafen sich in Jena Flüchtlinge aus Afrika sowie einige aus Lateinamerika, Asien und dem Nahen Osten. Asylsuchende aus Osteuropa, die die größte Flüchtlingsgruppe in Deutschland bilden, waren auf dem Kongress aber nur schwach vertreten. Der Kontakt zu ihnen beginne erst und sei recht schwierig, so der Kongressveranstalter Osaren Igbinoba. Die Flüchtlinge in Jena tauschten ihre Erfahrungen aus, lernten sich kennen und planten Kampagnen, die auf ihre Situation aufmerksam machen sollen. Wichtiges Ziel war es, in Zukunft mit einer gemeinsamen, starken Stimme in der Öffentlichkeit aufzutreten. Größere Konflikte und Strategiestreitigkeiten blieben während der zehn Tage weitgehend aus. Unter dem Motto "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört" referierten Gäste aus Afrika, Asien und Lateinamerika über die wirtschaftliche und politische Situation ihrer Länder. Zum Beispiel schilderte Shamsun Nahar Khan von der Landarbeiterinnenorganisation Kishani Sabha aus Bangladesh ausführlich, wie die Lebensgrundlage der KleinbäuerInnen von Großgrundbesitzern und Saatgutkonzernen zerstört wird. Während einige der Referate fundierte Kenntnisse aufwiesen, kamen andere Vorträge sehr holzschnittartig daher. Behauptungen wurden aufgestellt, ohne sie zu begründen oder herzuleiten. Vor allem über Vorgänge in Afrika offenbarten sich große Informationslücken. Daraus haben die TeilnehmerInnen eine Konsequenz gezogen: Sie beschlossen, ein Informationsarchiv über Afrika aufzubauen, das darlegen soll, wie der Diamantenhandel, die Öl- und Phosphatgewinnung sowie der Abbau anderer Rohstoffe den Kontinent zerstört. Auch Dokumente über die Interessen von den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen Staaten des Nordens, die die Grundsteine legen für Krieg und Armut, sollen dort archiviert werden. Die ReferentInnen kritisierten auch die Zusammenarbeit europäischer Staaten mit den Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden - zum Beispiel Sri Lanka, Togo oder Türkei. Eine kritische Debatte über den westlichen Menschenrechtsdiskurs und die Instrumentalisierung von Menschenrechtsverletzungen für die Machtinteressen der Nato, die mit der Parole "Krieg für Menschenrechte" Jugoslawien bombardierte, fand jedoch nicht statt. Frauen und Migration Ein weiterer Schwerpunkt des Programms bildete die europaweite Vernetzung antirassistischer Initiativen. Der Erfahrungsaustausch mit VertreterInnen europäischer MigrantInnenorganisationen sei sehr ermutigend gewesen, so Hagen Kopp von kein mensch ist illegal. Sans Papiers aus Belgien und Frankreich, die britische Hausarbeiterinnengewerkschaft für MigrantInnen Kalayaan, Olho Vivo aus Portugal, das polnische Kollektiv Rozbrat aus Poznan, die Ya Basta-Gruppe aus Mailand und weitere Migrantinnenorganisationen arbeiten derzeit an einer europäischen Plattform zu Migration und Flüchtlingspolitik. Auch sollen gemeinsame Aktivitäten für den EU-Gegengipfel in Marseille im Dezember koordiniert werden. Gegenstand des Kongresses war außerdem das Thema Frauen und Migration. Aus den Entscheidungen der Asylverfahren wird klar: Unterdrückung und Verfolgung von Frauen wegen ihres Geschlechtes gilt nicht als politisch und wird häufig als "kulturelle Differenz" gerechtfertigt. Das Bleiberecht von Frauen ist in der Regel an die Ehe mit einem Mann mit Aufenthaltsrecht gebunden und liefert sie damit seiner Willkür aus und auch die illegalisierten Hausarbeiterinnen werden leicht zum Opfer sexueller Gewalt und psychologischer wie körperlicher Ausbeutung. Auch der Kampf gegen die Kriminalisierung von Prostituierten durch Polizeirazzien, die stets mit der Gefahr einer Abschiebung verbunden sind, war Thema einer Arbeitsgruppe. Die Migrantinnen auf dem Kongress forderten neben eigenständigen Aufenthaltsrechten und der Anerkennung von Haus- und Sexarbeit als vollwertige Arbeit mit allen dazugehörigen sozialen Rechten auch, dass die spezifische Situation von Migrantinnen zu einem allgemeinen Thema der Karawane wird. Es sollen Umgangsformen entwickelt werden, die sicherstellen, dass Frauen innerhalb der Karawane keine sexistische Aggression und Diskriminierung hinnehmen müssen. Die TeilnehmerInnen hatten nicht nur eine umfangreiche Themenpalette zu bewältigen. Auch die Übersetzung in fünf Sprachen erforderte große Geduld. Vor die größten Probleme gestellt sahen sich die VeranstalterInnen aber von den deutschen Behörden. Cornelius Yufanyi, einer der Veranstalter des Kongresses, schätzt, dass die Hälfte der Asylsuchenden, die nach Jena kommen wollten, an ihrer Reise gehindert wurden. Das Innenministerium Brandenburg hatte die Ausländerbehörden im Land aufgefordert, die Reisen nicht zu gestatten. "Die Teilnahme liegt weder in einem dringenden öffentlichen Interesse noch stellt die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte dar," hieß es dort. Auch in anderen Bundesländern wurde Asylsuchenden die Teilnahme verweigert. Grundlage für das Verbot ist die Aufenthaltsbeschränkung, der AsylbewerberInnen nach dem Asylverfahrensgesetz unterliegen. Demnach dürfen sie den Landkreis, in dem sie gemeldet sind, nicht verlassen. Gegen eine Gebühr können die Asylsuchenden in Ausnahmefällen eine Genehmigung für das Verlassen des Landkreises erhalten. Den Asylsuchenden, die ihren Landkreis ohne Genehmigung verlassen, drohen bei Polizeikontrollen Geldstrafen und Abschiebung. Der Fall von Josemaria Jones, Asylbewerber aus Sierra Leone, belegt, wie sehr den deutschen Behörden die politische Betätigung von Flüchtlingen ein Dorn im Auge ist. Weil Jones dreimal ohne Erlaubnis des Wartburgkreises in Thüringen in andere deutsche Städte reiste, um dort über das Karawaneprojekt zu informieren, hat er nun einen Ausweisungsbescheid erhalten. Die Behörde im Wartburgkreis ist der Meinung, dass die Reisen von Josemaria Jones "die öffentliche Sicherheit und Ordnung maßgeblich" beeinträchtigen. "Die Ausweisung aus generalpräventiven Gründen, also zur Abschreckung anderer Ausländer, ist nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann gerechtfertigt, wenn andere Ausländer zur Vermeidung der ihnen drohenden Ausweisung veranlasst werden, sich in der Bundesrepublik Deutschland ordnungsgemäß zu verhalten," begründet die Behörde ihre Entscheidung. Die Karawane sieht in dem Bescheid eine Drohung gegenüber allen Flüchtlingen, die sich in der Karawane organisieren und sich gegen die Bedingungen, denen sie hier ausgesetzt sind, wehren. Die rasche Abschaffung der Reisebeschränkung ist ein zentrales Ziel des Kongresses, da im Rahmen der Harmonisierung des Asylrechtes in der Europäischen Union eine Ausbreitung dieser Regelung auf andere europäische Staaten droht. Jetzt beginnt die Arbeit "Die KongreßteilnehmerInnen erwarten von einem zivilisierten, entwickelten Land zumindest die Gewährleistung der grundlegendsten Rechte, wie das Recht auf Bewegungsfreiheit. Die TeilnehmerInnen des Kongreßes werden für dieses Recht eintreten, denn eine Karawane, die sich nicht bewegt, ist keine Karawane," heißt es in einer Erklärung. Während des Kongresses hat sich ein Ad hoc-Komitee gebildet, das Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Residenzpflicht, die die Flüchtlinge als Apartheid begreifen, vorbereitet. Für den 31. Juli ist eine bundesweite Demonstration in Bonn gegen die Residenzplicht anvisiert. Das Komitee plant auch einen Marsch der Flüchtlinge in die Hauptstadt Berlin und überlegt, juristisch gegen die Beschränkung der Freizügigkeit vorzugehen. Die Flüchtlinge wollen die "Residenzpflicht" vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Die zahlreichen, unterschiedlichen Formen von Aufenthalts- und Duldungsrechten erschweren gemeinsame politische Strategien und erhöhen die Gefahr, sich nur auf bestimmte Gruppen zu konzentrieren. So war die prekäre Situation von Illegalisierten, von denen sich nach Schätzungen über eine Million in Deutschland aufhalten, auf dem Kongress unterbelichtet. Dies schlägt sich auch darin nieder, dass es kaum Kampagnenüberlegungen gibt, die beispielsweise eine Legalisierung von Illegalisierten zum Ziel haben. Ein weiterer offener Punkt ist die Frage der Arbeitsgenehmigungen. Während einige Flüchtlinge eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis fordern, betonen andere, dass die Integration der Flüchtlinge und MigrantInnen in das ökonomische System in Europa gleichzusetzen sei mit einer Kollaboration mit den Profiteuren und Geschäftemachern, die die Länder des Südens ausplündern. In einem Abschlussmanifest haben die KongreßteilnehmerInnen ihre Forderungen zusammengestellt: Neben der grundsätzlichen Forderung nach offenen Grenzen für alle wollen sie zunächst einen sofortigen Abschiebestopp und die Abschaffung aller Abschiebegefängnisse erreichen. Die Arbeitsgruppe zu politischen Gefangenen weltweit schlug vor, auch Abschiebehäftlinge als politische Gefangene zu bezeichnen. Auch ein generelles Recht auf Asyl und die freie Wahl des Wohnortes steht im Forderungskatalog. Die Flüchtlinge haben aber während des Kongresses nicht nur ihre Forderungen formuliert. Vielfältige Aktionen und Kampagnen sind ins Auge gefasst: Neben der Kampagne zur Abschaffung der Residenzpflicht, soll die Lufthansa-Kampagne verstärkt werden, Gegenöffentlichkeitsaktionen an den Ländertagen auf der Expo in Hannover und "urgent-actions" gegen Abschiebungen stattfinden. Weiterhin wird sich die Karawane in einem kleineren Kreis treffen und für Ende August ist ein Grenzcamp geplant. Am Ende des Kongresses herrschte trotz aller Erschöpfung Aufbruchstimmung. Osaren Igbinoba von The Voice ist der Meinung, dass mit dem Kongress die Selbstorganisation von Flüchtlingen einen großen Schritt vorangekommen ist. Allerdings fange jetzt die Arbeit erst richtig an. Anke Schwarzer
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