Freie Presse, 10.5.2000 Türkei von Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Junger Kurde nach Verhaftung spurlos verschwunden Wegen des spurlosen Verschwindens eines jungen Kurden, der vermutlich zu Tode gefoltert wurde, ist die Türkei vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Die Straßburger Richter stellten in dem am Dienstag gefällten Urteil einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben fest. Außerdem werfen sie den türkischen Behörden vor, nicht angemessen über das Schicksal des Mannes ermittelt zu haben. Die Regierung in Ankara wurde angewiesen, dem Vater des Verschollenen umgerechnet 165.000 Mark an Schadensersatz und für die Gerichtskosten zu zahlen. Der Vater von vier kleinen Kindern, der als Bergmann im vorwiegend von Kurden bewohnten Südosten der Türkei arbeitete, war im August 1992 während einer Polizeiaktion gegen mutmaßliche Anhänger der verbotenen Kurdenorganisation PKK festgenommen worden und ist seither verschwunden. Die türkischen Behörden wiesen vor dem Gerichtshof die Verantwortung dafür zurück. Die Straßburger Richter kamen jedoch zu der Überzeugung, dass der junge Mann während der Haft zu Tode gefoltert wurde. Das Urteil stützt sich vor allem auf den Bericht einer Delegation der Menschenrechtskommission, die vor Ort ermittelt und mehrere Zeugen gehört hatte. Die Juristen vernahmen unter anderen einen Mithäftling des Verschollenen, der von Elektroschocks und anderen Quälereien berichtete. Nach seinen Angaben wurde der junge Kurde zehn Stunden in einer Folterkammer misshandelt. "Als er in die Zelle zurückkam, konnte er nicht mehr sprechen. Kurz danach war er wie tot und wurde weggebracht. Wir haben ihn nie mehr gesehen", zitierte die Delegation den Zeugen. Ankara wurde von dem Straßburger Gerichtshof bereits mehrfach wegen Folter an Kurden sowie der Zerstörung kurdischer Dörfer verurteilt.
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