junge Welt, 10.05.2000 »Tödliche Tätigkeit« Schwere Vorwürfe gegen Otto Schily nach Selbstmord einer Asylbewerberin im Frankfurter Flughafen Wie erst am Montag abend bekannt wurde, hat sich bereits am vergangenen Sonnabend eine Asylbewerberin aus Algerien im Frankfurter Flughafengefängnis das Leben genommen. Die 40jährige Naima H. wurde im Duschraum der Asylunterkunft erhängt aufgefunden. Nach Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt/M. handelt es sich zweifelsfrei um Selbstmord. Die Algerierin war schon seit dem September 1999 in der Asylunterkunft auf dem Frankfurter Flughafen inhaftiert. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte den Asylantrag der Frau im Herbst als unbegründet abgelehnt. Naima H. war nach eigenen Angaben aus Algerien geflohen, weil ihr Mann dort als Terrorist gesucht wurde und sie von der Polizei mehrfach vergewaltigt worden sei. Ihre Angaben wurden allerdings weder vom Bundesamt noch vom Frankfurter Verwaltungsgericht als »glaubhaft anerkannt«. Schwere Vorwürfe erheben die beiden großen Kirchen und Flüchtlingsverbände gegen Innenminister Otto Schily, der trotz heftiger Vorwürfe in den vergangenen Monaten weiter »am inhumanen Verfahren« des Flughafenasyls festhalte. Pro Asyl spricht von einer »tödlichen Untätigkeit des Innenministers« und bezieht sich dabei nicht nur auf den Tod der Algerierin. Viele der im Flughafen festgehaltenen Asylbewerber hätten keine gültigen Ausweispapiere und »müßten unter haftähnlichen Bedingungen und großem psychischen Druck monatelang auf die Rückführung in die Heimatländer warten«, heißt es bei Pro Asyl. Auch Naima H. war bei ihrer Ankunft im September in äußerst schlechter Verfassung und ständig von Weinkrämpfen geschüttelt, wie die beiden Kirchenverbände einhellig kritisieren. Im Februar brach die Frau physisch zusammen und mußte in eine Klinik eingewiesen werden. Ihr Rechtsanwalt hatte daraufhin einen dringenden Appell an Schily geschickt mit der Bitte, die Frau aus humanitären Gründen einreisen zu lassen. Schwere Versäumnisse werfen die beiden Kirchen und Pro Asyl auch den Grünen vor. In den Koalitionsvereinbarungen mit der SPD habe man noch versprochen, »die Dauer des Flughafenverfahrens im Licht der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen«, geschehen sei nichts. Lediglich eine von den Räumlichkeiten her verbesserte Unterbringung der Asylbewerber habe das Innenministerium zugesagt, erklärte Pro Asyl. Gemeinsam mit den beiden Kirchen fordert Pro Asyl von Schily die unverzügliche und ersatzlose Abschaffung des Flughafenverfahrens. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, beantragte, daß der Selbstmord der Algerierin auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung des Innenausschusses des Bundestages gesetzt wird. Dieser dürfe seine Augen nicht vor dem inhumanen Umgang mit Flüchtlingen in diesem Land verschließen. Till Meyer, Frankfurt/Main
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