Tagesspiegel, 10.5.2000

Kommentar
Staatsbürgerschaftsrecht

Aus der Neuen Welt

Thomas Kröter

Johannes Rau will kein Staatsoberhaupt sein, das sich inszeniert. Das hat er in und vor seiner bald einjährigen Amtszeit oft gesagt. Nicht ausgesprochen, aber gemeint war damit stets auch: Ich will anders sein als Roman Herzog, der sich höchst professionell vermarkten ließ. Prompt hing dem neuen Bundespräsidenten, zumal in den Medien, das Image des altmodischen Langweilers an, der zudem nur seinen eigenen Lebenstraum erfüllen wollte: Das Amt seines politischen Ziehvaters Gustav Heinemann zu bekleiden - und sonst gar nichts. Nun hat Johannes Rau sich doch ein kleines Stück Inszenierung gegönnt. Und ein mittleres Stück Politik losgetreten. Ausgerechnet an dem Tag, an dem er den ungeliebten Vorgänger im Schloss Bellevue empfing, wartete er mit einem kleinen politischen Paukenschlag auf: Die Deutschen, meinte der Bundespräsident, sollten sich beim Staatsbürgerschaftsrecht die Vereinigten Staaten von Amerika zum Vorbild nehmen. Das ist nicht einfach der Wunsch nach leichterer Einbürgerung, wie eine Nachrichtenagentur meldete.

Das ist die Forderung nach einem Systemwechsel: vom "ius sanguinis" zum "ius soli". Nicht das Blut, also die Abstammung, die Herkunft der Eltern, soll entscheidend sein für die deutsche Staatsangehörigkeit, sondern der Boden, auf dem eine(r) geboren ist.

So weit zu gehen, hatte die rot-grüne Regierungskoalition nicht gewagt. Genauer: Die Sozialdemokratie, der Johannes Rau die meiste Zeit seines politischen Lebens angehört hat, mochte dieser Vorstellung der Grünen nicht nachgeben. So kamen zwar viele Erleichterungen bei der Einbürgerung heraus, an der Spitze der Doppelpass - aber der ganz große Schritt wurde nicht getan.

Ohnehin war die Debatte heiß genug. Den Verlust der hessischen Landtagswahl trug sie den beiden Koalitionspartnern ein. Ausländerpolitik ist vermintes Terrain hier zu Lande. Johannes Rau ist sie Herzenssache. Der Präsident aller Deutschen wolle er sein, hat er in den Dankesworten nach seiner Wahl gesagt, "und der Ansprechpartner für alle Menschen, die ohne deutschen Pass bei uns leben".

Deswegen empfing er eine Auswahl der ersten Mitbürger, die ihr Ausweisdokument nach dem neuen Recht erhielten; deswegen wird er seine "Berliner Rede" der Frage des Zusammenlebens von Menschen verschiedener Herkunft, verschiedener Kulturen in Deutschland widmen.

Roman Herzog gerann bei diesem Anlass, nach drei Jahren im Amt, die Forderung nach einem "Ruck", der durchs Land gehen müsse, zum Markenzeichen. Seit dem Amtswechsel verfolgt den neuen Präsidenten die Forderung nach der Rau-Rede. Die überraschende Forderung nach einem Ruck in der Ausländerpolitik hat die Erwartungen nun hoch gespannt.

Das Staatsoberhaupt wollte ein Zeichen setzen. In Zeiten, da eine Einwanderungsdebatte beginnt; in Zeiten, da sie in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten geführt wird; in Zeiten, da die Opposition das Asylrecht zur Disposition stellen möchte - in solchen Zeiten hat Johannes Rau ein Zeichen für Integration gesetzt. Und zwar ohne parteipolitische Rücksichtnahme, ohne Blick auf die anstehende Wahl in Nordrhein-Westfalen. Dort dürften die forschen Einwanderungsideen des Bundespräsidenten auch bei Teilen der SPD-Basis auf wenig Gegenliebe stoßen.

Der Bundespräsident Rau hat die Autorität seines Amtes genutzt, für ein keineswegs nur populäres Anliegen zu werben. Einfach so. So wie es wohl auch sein Vorbild Gustav Heinemann getan hätte, den sie einen "Bürgerpräsidenten" nannten. Johannes Rau - ein amtsversessener, altmodischer Langeweiler? Knapp ein Jahr nach seiner Wahl präsentiert er sich als politischer Präsident. Politischer, als manchem lieb ist. Wir warten auf weitere Überraschungen.