Frankfurter Rundschau, 11.5.2000 Selbstmord am Airport ruft Menschenrechtsausschuss auf den Plan Grüne prangern "Gefangenstatus" von Flüchtlingen an / SPD-Mann Bindig: Nötigung / Innenpolitiker bleiben hart Von Ursula Rüssmann Nach dem Selbstmord einer Asylbewerberin aus Algerien am Flughafen Rhein-Main dringen rot-grüne Menschenrechtspolitiker verstärkt auf Lockerungen im Flughafenverfahren. Vor allem der lange Aufenthalt von Flüchtlingen am Airport geriet unter Beschuss. Wie bekannt wurde, hatte die Algerierin März und April in Abschiebehaft in der JVA Frankfurt-Preungesheim verbringen müssen, weil sie es im Flughafentransit "nicht mehr ausgehalten" habe. FRANKFURT A. M., 10. Mai. Der Menschenrechtsausschuss des Bundestags hat am Mittwoch einen dringlichen Bericht des Bundesinnenministers zum Todesfall am Flughafen und den Konsequenzen eingefordert. Die Ausschuss-Vorsitzende Claudia Roth (Grüne) sagte der FR, "grundsätzliche Änderungen" am Flughafenverfahren seien überfällig. Über den zugesagten Bau einer besseren Flüchtlingsunterkunft am Flughafen sagte sie: "Neue Vorhänge ändern nichts am Gefangenenstatus der Flüchtlinge." Der SPD-Obmann im Ausschuss, Rudolf Bindig, zeigte sich "schockiert" über den monatelangen Verbleib der Algerierin am Flughafen. Da seien Absprachen zwischen Innen- und Menschenrechtspolitikern der Koalition wohl nicht eingelöst worden, sagte er der FR. "Nötigungscharakter" hat laut Bindig die so genannte Freiwilligkeitserklärung, mit der der lange Aufenthalt von Flüchtlingen am Airport in der Regel rechtlich abgesichert wird: Gesetzlich vorgeschrieben ist ein Höchstaufenthalt von 19 Tagen. Ist das Verfahren bis dahin nicht abgeschlossen, darf der Flüchtling einreisen - es sei denn, er willigt in einen längeren Verbleib am Airport ein. Die meisten Betroffenen tun das nach Angaben von Rechtsanwälten und Verbänden, weil ihnen andernfalls Abschiebehaft droht. Das ist auch der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), ein Dorn im Auge. Sie will nach dem Tod von Naimah H. jetzt in der Koalition erneut darauf dringen, als Obergrenze 30 Tage festzuschreiben. Beck rügte schon im Februar in ihrem Jahresbericht, dass immer mehr Flüchtlinge sehr lange am Flughafen bleiben müssen. Derzeit soll sich ein Flüchtling bereits seit mehr als zehn Monaten am Rhein-Main-Flughafen befinden. Bei den Fristen sind die SPD-Menschenrechtler allerdings großzügiger. Bindig hält einen Aufenthalt im Transit von "allerlängstens zwei bis drei Monaten" für das Maximum, bis "die Unterbringunggssituation wesentlich verbessert ist". Auf Initiative der PDS, die von Grünen und FDP unterstützt wurde, wird sich nächste Woche auch der Innenausschuss mit dem Tod der Algerierin im Transit befassen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, sprach am Mittwoch von einem "tragischen Fall". Bedarf für kürzere Aufenthaltsfristen sieht er aber nicht. Er räumte aber im Gespräch mit der FR ein, dass die Unterbringung in Rhein-Main "sehr problematisch" sei und wegen der "Fürsorgepflicht für die Menschen dort" verbessert werden müsse. Die Freiwilligkeitserklärung hatte laut Evangelischem Regionalverband auch Naimah H. unterzeichnet, als ihr Asylantrag im September abgelehnt worden war. Psychisch schwer angeschlagen, habe sie sie am 29. Februar aber widerrufen und sei daraufhin in der JVA Frankfurt-Preungesheim in Abschiebehaft genommen worden. Da habe sie es aber auch "nicht mehr ausgehalten", so Rechtsanwalt Andreas Metzner, und die Erklärung Anfang Mai wieder unterzeichnet. Der Bundesgrenzschutz brachte sie am 4. Mai zurück in die Flüchtlingsunterkunft am Flughafen. Zwei Tage später endete die Odyssee mit ihrem Selbstmord.
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