Frankfurter Rundschau, 12.5.2000 "Qualifizierte Kosovo-Flüchtlinge sollen arbeiten dürfen" Industrie-Präsident Henkel lehnt Einschnitte in Rechte politisch Verfolgter ab / Green Card "ein Zwischenschritt" Die Wirtschaft hat die Entscheidung der Bundesregierung für die Einführung von Green Cards begrüßt. Doch weitere Initiativen müssten folgen, meint der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel. Mit ihm sprach der Berliner FR-Korrespondent Hilmar Höhn. Frankfurter Rundschau: Herr Henkel, ist die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Green-Card-Verordnung nicht weit mehr als ein arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Schachzug? Hans-Olaf Henkel: Das kann man nicht leugnen, das ist nur ein Zwischenschritt. Mit dem Beschluss wurde ja nur ein Symptom kuriert, nämlich der Mangel an Fachkräften in der Computer-Branche. . . . . .ein Symptom kuriert, sagen Sie? Aus Sicht der Industrie ist der Bedarf an Computer-Fachkräften aus Ländern außerhalb der Europäischen Union doch viel höher als die Zahl von 20 000 Experten, welche die Bundesregierung nun ins Land lassen will. Und das für höchstens fünf Jahre. Diese Befristung halte ich für falsch. Wenn man schon den Begriff "Green Card" aus dem amerikanischen Sprachgebrauch übernimmt, dann sollte man wissen, dass eine solche Regelung eine unbefristete Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung bedeutet. Aber ich habe es vorgezogen, die Diskussion nicht dadurch in die Länge zu ziehen, dass ich immer neue Forderungen an die Regierung stelle. Ist die Zurückhaltung der rot-grünen Koalition nicht dieser deutschen Befindlichkeit geschuldet, Fremden zunächst ablehnend bis distanziert gegenüber zu treten? Das hängt damit zusammen. Und damit, dass es unheimlich schwierig ist, am deutschen Arbeitsmarkt überhaupt Reformen durchzusetzen. Insofern ist jede Auflockerung - wie die Öffnung für ausländische Computerexperten - willkommen. Nun sprechen Sie ja für die gesamte Industrie, nicht nur für die Computerbranche. Andere Wirtschaftszweige klagen doch auch über Fachkräftemangel. Wieso sind Sie so zurückhaltend? Bin ich nicht. Ich trete ja gerade für eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes ein. Aber das ist doch typisch für unsere politische Kultur. Die Politiker erkennen die Notwendigkeit einer Reform an. Und dann fügen sie ihrer Zustimmung meistens den Satz an, "aber bitte nicht in dieser Legislaturperiode". Das haben wir schon so oft serviert bekommen, bis ich es nicht mehr hören konnte. Was ich derzeit vermisse, ist eine Strategie. Und diese Strategie müsste sein, dass die Regelung ausgeweitet wird. Wie sehen ihre strategischen Überlegungen denn aus? Soll die Regierung nun Verordnung über Verordnung für die vielen Branchen erlassen, die ebenfalls über Fachkräftemangel klagen? Nein. Grundsätzlich ist diese Green-Card ja nur ein Teil einer großen Lösung. Zunächst wäre ein ganz anderer Schritt überfällig. Die Reform unseres Bildungs- und Ausbildungssystems. Wir reden über die überfüllten Universitäten. Aber ich stelle fest, dass es an unseren Hochschulen einen Studentenmangel in den harten Fächern gibt, etwa in der Physik, der Chemie und lange Zeit auch in der Informatik. Zu wenig junge Leute wollen diese Fächer studieren. Wir müssen sofort damit beginnen, schon in der Schule unsere Kinder wieder an "harte" Fächer heranzuführen. Diese Fächer gehören auf den Stundenplan und dürfen nicht abgewählt werden. Das kann ja aber allenfalls nur ein Teil einer größeren Lösung sein. Um Einwanderung kommen wir nicht herum. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, weil der Euro schwach ist und die Konjunktur anzieht, haben wir in Deutschland unser Arbeitslosenproblem gelöst. Die Reform des Bildungssystems hat aus meiner Sicht Priorität. Aber das reicht doch nicht, wir werden in den nächsten Jahren immer weniger Beschäftigte haben und immer mehr Rentner und Pensionäre. Schon allein deswegen brauchen wir mehr Zuwanderung. Soweit sind auch Politiker aus den Reihen der SPD. Können wir es uns leisten, die Debatte um ein Einwanderungsgesetz in die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl zu verschieben? Nein. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass durch die Osterweiterung der Europäischen Union der Arbeitsmarkt um ein Vielfaches wächst. Ich bin deswegen nicht sicher, ob wir überhaupt Arbeitskräfte in großer Zahl aus Übersee brauchen. Wenn in dieser Republik - das zeichnet sich ja ab - irgendwann doch über ein Einwanderungsgesetz diskutiert wird, darf es dann dazu kommen, dass Flüchtlinge, die aus Not und Verfolgung zu uns kommen, gegen High-Tech-Einwanderer aufgerechnet werden? Was die Aufnahme politisch Verfolgter betrifft, so haben wir sehr gute Gesetze. Wegen eines Einwanderungsgesetzes brauchen wir nicht daran rütteln. Im Jugoslawien-Konflikt haben wir mehr Flüchtlinge aufgenommen als alle anderen europäischen Länder zusammen. Darauf können wir stolz sein. Wenn wir aber über Einwanderung reden, die über das Grundrecht auf Asyl hinaus geht, dürfen wir uns der Frage nicht verschließen, welche Qualifikationen diese Einwanderer haben sollen. Sie lehnen also Vorschläge, wie sie aus den Reihen der Union kommen, ab, das Asylrecht im Deal gegen ein Einwanderungsgesetz zu beschneiden? So ist es. Wir müssen noch weiter gehen. Zum Beispiel müssen die Kosovo-Flüchtlinge jetzt offensichtlich zurück in ihre Heimat. Warum aber können sie nicht in Deutschland bleiben, wenn sie über hierzulande gefragte Qualifikationen verfügen? Wir müssen ihnen doch erlauben, hier zu arbeiten. Im Augenblick sind wir ein "Netto-Exporteur" von Talenten. Wir müssen aber zu einer ausgeglichen "Handelsbilanz" von Talenten kommen. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass wieder mehr Experten und Studenten aus dem Ausland zu uns kommen.
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