taz 13.5.2000

Folter amtlich

Die Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments belegt: In Polizeistationen werden Menschen systematisch misshandelt

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

"Ich wurde in den Keller der Polizeistation geführt, wo man mir die Augen verband. Dann musste ich mich vollständig ausziehen und wurde mit einem Hochdruckstrahler abgespritzt. Anschließend wurden mir an den Füßen und Daumen Elektroschocks versetzt." Die Aussage ist eine unter vielen anderen, die in einem vor wenigen Tagen teilweise veröffentlichten Report der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments zitiert wird.

Nachdem die Kommission vor einigen Wochen für Aufsehen gesorgt hatte, weil sie unangemeldet vier Polizeistationen in Istanbul besucht und anschließend erklärt hatte, sie habe in allen Foltervorrichtungen gefunden, legte die Kommissionsvorsitzende jetzt die Ergebnisse ihrer Untersuchung in den ostanatolischen Städten Urfa und Ercinzan vor. Beide Städte hatte die Kommission bereits 1998 besucht und musste nun feststellen, dass sich nichts Entscheidendes verändert hat. Sema Piskinsüt, die Vorsitzende der Parlamentskommission, erklärte, die Polizei habe zwar einige Folterkeller geschlossen, jedoch an anderer Stelle Folterungen weiter fortgesetzt. Misshandlungen seien nach wie vor an der Tagesordnung.

Vor dem Parlament nahm daraufhin Innenminister Sadettin Tantan Stellung. Im Rahmen einer Budgetdebatte, in der es unter anderem um Geld für die Polizeiausbildung ging, bestätigte Tantan die Vorwürfe indirekt und sagte: Niemand kann erwarten, dass die Folter verschwindet, solange die Mentalität der Gesellschaft sich nicht ändert und nicht neue Gesetze beschlossen werden." Als wirksamstes Mittel gegen Folter forderte Tantan mehr Geld für eine bessere Ausbildung der Polizeioffiziere. Nur sehr gut ausgebildete und trainierte Polizisten könnten verhindern, dass auf Polizeistationen immer wieder gefoltert werde.

Vertreter des türkischen Menschenrechtsvereins, aber auch Sprecher der Anwaltskammer, machen dagegen hauptsächlich die Justiz und die Staatsspitze dafür verantwortlich, dass auf Polizeistationen nach wie vor gefoltert wird. Ercan Demir, Sprecher des Menschenrechtsvereins in Izmir, sagte, zwar sei Folter seit 1995 seltener geworden, weil in der Öffentlichkeit stärker auf eine Ächtungt der Folter gedrängt werde. "Die Folterpraktiken der Polizei wirklich abzuschaffen geht aber nur, wenn die Justiz endlich durchgreift. Bisher werden Polizisten auch bei erdrückenden Beweisen für Folter in 90 Prozent aller Gerichtsverfahren freigesprochen. Solange sich daran nichts ändert, wird weiter gefoltert." Der Vorsitzende der Anwaltskammer in Izmir, Cetin Turan, hält im Gegensatz zu Innenminister Tantan die Gesetze durchaus für ausreichend. "Sie werden nur nicht angewendet." Auch die Vorsitzende der Parlamentskommission, Sema Piskinsüt, bemängelt in ihrem Bericht, dass die meisten Staatsanwälte Foltervorwürfen kaum nachgehen würden, und forderte den Justizminister auf, dafür zu sorgen, dass sich das ändert.

Wie schwierig es ist, an der Mentalität von Polizei und Justizapparat tatsächlich etwas zu ändern, musste unlängst selbst der durch seine Prominenz relativ geschützte Akin Birdal erleben. Der bekannteste türkische Menschenrechtler muss zurzeit, trotz schwerer gesundheitlicher Probleme infolge eines Attentats, eine Reststrafe im Gefängnis verbüßen. Obwohl die türkische Regierung sich gegenüber dem Europäischen Parlament verpflichtet hatte, Birdals physiotherapeutische Behandlung in der Haft weiter zu ermöglichen, ließ der Gefängnisdirektor Birdals Arzt vor dem Tor stehen. Erst nach einer Intervention des für Menschenrechte zuständigen Ministers Irtemcelik konnte Birdal behandelt werden. Ob das so bleibt, ist fraglich, denn Irtemcelik ist Anfang der Woche zurückgetreten. Sema Piskinsüt hat angekündigt, dass sie den gesamten Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommssion in den nächsten Wochen dem Plenum des Parlaments vorlegen wird.