Neue Zürcher Zeitung (CH), 13.05.2000
Amerikanische Raketen vom Irak abgewehrt?
Dementi des Pentagons zu einem Bericht
vk. Limassol, 12. Mai
Ein irakischer Bericht über die Entwicklung eines Abwehrsystems
gegen amerikanische Luft- Boden-Raketen wirft Fragen über das wahre
Geschehen bei der Durchsetzung der beiden alliierten Flugverbotszonen
im Zweistromland auf. Der Kommandant der irakischen Fliegerabwehr, General
Shahin Yassin, gab am Donnerstag triumphierend bekannt, seine Truppe
habe mit einem Störsystem die Antiradar-Raketen der westlichen
Fliegerpatrouillen neutralisiert. Der Pentagon- Sprecher Bacon bestritt
sofort die Existenz eines solchen Abwehrsystems. Dann sagte er unter
Zuhilfenahme eines davon abweichenden Arguments, die irakische Flab
benütze mindestens seit März ohnehin keine Fliegerabwehrraketen,
so dass auch die Harm-Missile zur Zerstörung des Zielradars nicht
gebraucht worden seien. Die Harm-Rakete kann in Aktion treten, sobald
ein Kampfflugzeug vom Zielradar erfasst wird; sie reitet auf dem gegnerischen
Leitstrahl direkt in die Raketenstellung des Angreifers. Die amerikanische
und die britische Luftwaffe patrouillieren seit 1991 in den beiden von
Washington verhängten Flugverbotszonen, die eine nördlich
des 36. und die andere südlich des 33. Breitengrads.
«Bomben auf das Fliegerabwehrnetz»
Die Angabe Bacons kontrastiert ein Stück weit mit den Routinemeldungen
aus dem Hauptquartier der alliierten Luftraumüberwachung in Europa,
die jüngste davon vom Donnerstag, wonach die Luftpatrouillen im
Irak von der Fliegerabwehr beschossen werden und zur Selbstverteidigung
die entsprechenden Stellungen angreifen. Am Donnerstag kamen, wie der
Sprecher des European Central Command in Deutschland sagte, die amerikanischen
und britischen Flugzeuge nördlich von Mosul unter Beschuss der
Fliegerabwehr; «sie warfen daraufhin Bomben auf Teile des integrierten
irakischen Fliegerabwehrnetzes ab». Allem Anschein nach waren
die Harm-Raketen und mithin das irakische Zielradar nicht im Einsatz.
Also schossen die Iraker entweder gar nicht, oder sie feuerten blind
oder mit Flab-Kanonen, welche die in über 5000 Metern Höhe
fliegenden Patrouillenflugzeuge nur schlecht erreichen. Allenfalls haben
sie auch eine Leitmethode für Flab-Raketen erfunden, die ohne das
von der Harm zu knackende Zielradar auskommt.
Angeblich wachsende Zahl von Opfern
General Yassin präzisierte, seit dem 18. Dezember 1998 seien knapp
hundert Harm-Raketen abgefeuert worden; alle hätten weitab vom
Ziel eingeschlagen und die Waffe sei wirkungslos. Die irakische Militärbürokratie
hat seit dem Kuwaitkrieg von 1991 total 2300 Harm-Einsätze verbucht.
Yassin beanspruchte umgekehrt Treffer an 12 der alliierten Patrouillenflugzeuge,
was nie bestätigt wurde. Die irakische Flab will auch 26 Prozent
aller amerikanischen Marschflugkörper über dem Irak abgeschossen
haben, obwohl dazu leistungsfähige Radargeräte erforderlich
wären. Kenner schliessen nicht ganz aus, dass die Iraker mit Hilfe
von Technikern aus andern Ländern eine elektronische Abwehr gegen
die Harm entwickelt haben, zumal die Waffe schon länger im Einsatz
ist. Die Kehrseite dieses seit Dezember 1998 andauernden Kleinkrieges
- seit Präsident Saddam Hussein die Abwehr der Patrouillenflugzeuge
angeordnet hat - ist eine beträchtliche Opferzahl dieser fast alltäglichen
punktuellen Bombenangriffe. Der frühere Uno-Koordinator von Sponeck
erklärte neulich, allein im Jahr 1999 seien 144 Iraker umgekommen
und 446 verletzt worden, und zwar laut Erhebungen der Uno meist Zivilpersonen.
Das würde die regelmässigen Klagen Bagdads über zivile
Opfer stützen, während die amerikanischen Militärsprecher
systematisch nur von Schlägen gegen militärische Anlagen sprechen.
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