junge Welt, 15.05.2000 Arbeiten für die SPD Urteil gegen Kurden nach Freiheitsberaubung bei Öcalan- Protest: Opfergespräch und Sozialdienst Bereits seit dem 21. März mußten sich elf kurdische Jugendliche vor der Jugendkammer des Landgerichtes Hamburg wegen einer Protestaktion gegen die Verschleppung Abdullah Öcalans, Vorsitzender der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), im Februar letzten Jahres verantworten. Vorgeworfen wird ihnen schwerer Landfriedensbruch sowie Geiselnahme. Die Jugendlichen waren Teil einer kurdischen Abordnung, die am 17. Februar 1999 einen Protestbrief im Kurt-Schumacher- Haus, der Landeszentrale der Sozialdemokratischen Partei (SPD) in Hamburg, abgeben wollte. Die Beschäftigten der SPD verständigten damals umgehend die Polizei, die wenig später eintraf und der Gruppe, die sich inzwischen in einem oberen Stockwerk auf der Suche nach einem Ansprechpartner befand, den Rückweg versperrte. Die Kurden verbarrikadierten sich. Unbeabsichtigt geriet an jenem Tag Dirk Sielmann, der Kreisgeschäftsführer der SPD Hamburg- Mitte, hinter die Barrikaden, wo er über mehrere Stunden festgehalten wurde. Als die Polizei dem Hindernis mit Feuerlöschern beizukommen versuchte, hielten mehrere Kurden Sielmann aus dem Fenster und drohten, ihn herunterzuwerfen. Dabei habe er den Bodenkontakt verloren, die Männer hätten ihm aber gleichzeitig versichert, ihm würde nichts geschehen, sagte der Sozialdemokrat vor Gericht aus. Ansonsten habe es keine für ihn bedrohliche Situation gegeben. Im Gegenteil, er sei »zuvorkommend behandelt« worden. Der Strafverteidiger Martin Lemke beantragte zu Beginn des Verfahrens, eine illustre Runde in den Zeugenstand zu rufen: den Bundeskanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joseph Fischer, Innenminister Otto Schily, Justizministerin Herta Däubler-Gmelin sowie Generalbundesanwalt Kay Nehm. Die Genannten würden bestätigen, so Lemke, daß es die Absicht Abdullah Öcalans gewesen sei, in die BRD einzureisen und sich dort dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren zu stellen. Doch ihm sei die Einreise in die BRD verweigert worden. Dieses Verhalten der Bundesregierung sei »zumindest mitursächlich« für die Verurteilung Abdullah Öcalans zum Tode. Der Strafanspruch der Bundesrepublik Deutschland gegen die Angeklagten sei damit verwirkt, so die Schlußfolgerung des Hamburger Juristen. Dieser Logik vermochte sich der Vorsitzende Richter jedoch nicht anzuschließen und lehnte den Antrag ab. Anfang letzter Woche waren die Angeklagten vom Vorwurf des schweren Landfriedensbruches und der Geiselnahme freigesprochen worden. Statt dessen wurde ihnen Freiheitsberaubung angelastet und sie wurden zu Arbeitsauflagen verurteilt, das heißt, sie müssen Arbeitsstunden im sozialen Dienst verrichten. Damit gelten sie nicht als vorbestraft. Die rund 12 000 Mark, die dabei vermutlich erwirtschaftet werden, sollen Dirk Sielmann als Entschädigung zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollen die Jugendlichen in einem »beaufsichtigten Gespräch« mit dem »Opfer« ihre »Taten« besprechen. »Blanker Zynismus, diese Jugendlichen, die zum Teil ohne Begleitung von Angehörigen vor Krieg und Verfolgung aus Kurdistan fliehen mußten, zu kriminalisieren«, kommentiert Holger Deilke von Azadi (Freiheit), einen Rechtshilfeverein für Kurdinnen und Kurden in der BRD, dieses Urteil. »Werden die Funktionäre der Regierungspartei entsprechend ihrer Verantwortung zu solchen Sühneakten mit den Opfern ihrer Politik - Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe, Rüstungsexporte und die Ausbildung türkischer Militärs in der BRD - herangezogen werden? Die Aufhebung des PKK-Verbotes wäre ein allererster kleiner Schritt.« Birgit Gärtner, Hamburg
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