Neue Presse, 20.5.2000 Flüchtlinge hinter Stahlschleuse Nach dem Selbstmord einer Frau im Transitbereich des Frankfurter Flughafens hat "Pro Asyl" schwere Vorwürfe gegen das Bundesinnenministerium erhoben. Bereits im Februar habe der Rechtsanwalt der 40-Jährigen auf ihre schwierige psychische Verfassung aufmerksam gemacht. Der Vergleich mit den jungen Leuten in Hürth bei Köln hinkt natürlich: Unter den elektronischen Augen von "Big Brother" schlafen sie 100 Tage lang in Containern, essen, langweilen sich und trainieren mit Hanteln. Sie verzichten auf Zeitung, Freunde und Freiheit. Sie haben die Wahl: Wenn sie rauskommen, sind sie berühmt, vielleicht reich. Dann hat sich die Selbstkasteiung gelohnt. Auch am Frankfurter Flughafen sind Menschen eingeschlossen. Auch sie schlafen, essen, verzichten auf Zeitung, Freunde und Freiheit. Aber sie haben keine Wahl: Wer im Gebäude 182/183 C bleibt, der darf auf Asyl in Deutschland hoffen. Doch wer abgelehnt wird, dem drohen in der Heimat Gefängnis, Folter, vielleicht auch der Tod. Wer weiß das schon so genau? Wird ja nicht täglich im Fernsehen übertragen. Zwischen 70 und 200 Männer, Frauen und Kinder unterschiedlicher Herkunft, Religion und Hautfarbe leben in den zehn kleinen Zimmern der Flüchtlingsunterkunft im so genannten Transitbereich. Es ist heiß, es stinkt nach Kerosin und vergammelter Nahrung, nach Schweiß, Urin und Desinfektionsmittel. Damit keiner abhaut, sind die Fenster des tristen Betonbaus vergittert. Die Gänge sind verwinkelt, überall brennen Leuchtstoffröhren, an kahlen Mauern hängen Kinderzeichnungen. Auf ihnen sind Soldaten zu sehen, Flugzeuge und Bomben. Gelegentlich passiert ein Bus die Stahlschleuse. Er fährt die Flüchtlinge mit den bewaffneten BGS-Beamten auf einen kleinen, mit Stacheldraht umzäunten Rasen am Rande der Rollbahn. Dort dürfen sie den Himmel sehen. Das Bundesverfassungsgericht hat vor vier Jahren festgelegt, dass die Entscheidung über Einreise oder Zurückweisung spätestens nach 19 Tagen getroffen sein muss. Dennoch gibt es Fälle, bei denen Menschen mehr als 300 Tage in den stickigen Räumen bleiben müssen. Naimah H. war acht Monate im Transitbereich eingesperrt, als sie sich am 6. Mai in der Dusche erhängte. Es war der erste Selbstmord in der von der Caritas und evangelischer Diakonie betriebenen Unterkunft. Kirchen und Menschenrechtsgruppen bezeichnen den Fall als Fanal in der siebenjährigen Geschichte des "inhumanen Flughafen-Asylverfahrens". Die Frau ohne Pass, so die "Süddeutsche Zeitung", hatte sich als Algerierin ausgegeben, als Partnerin eines Mannes, den das algerische Regime als Terroristen verfolge. Polizisten in ihrer Heimat hätten sie geschlagen und mehrfach vergewaltigt, erzählte sie. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte eine Einreise der 40-Jährigen ab. Weil sich Naimah H. nicht an das Datum ihrer Vergewaltigungen erinnern konnte, wurde auch ihre Klage gegen die Entscheidung abgeschmettert. Algerien ließ sich beim Ausstellen neuer Papiere für Naimah H. viel Zeit. Hier zu Lande stellte man die Frau vor die Alternative: Entweder sie unterschreibe eine so genannte Freiwilligkeitserklärung und bleibe im Flughafen-Bunker oder sie komme bis zum Eintreffen der Papiere in Untersuchungshaft. Am Ende entschied sie sich für das Gefängnis, das sie schon kannte. Das Warten trieb die depressive Frau in den Tod. Naimah H. sei selber dafür verantwortlich, dass sie so lange in der Unterkunft bleiben musste, ließ Innenminister Otto Schily (SPD) durch einen Staatssekretär mitteilen; sie hätte ja ausreisen können. "Anmaßende Selbstgerechtigkeit" nennt das Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann. Einst habe Rot-Grün vereinbart, das Flughafenverfahren abzukürzen. Von "Verhältnismäßigkeit" sei die Rede gewesen. Nichts dergleichen - die Situation für die Frankfurter Flüchtlinge sei noch schlimmer geworden. Waren 1997 noch sieben Menschen länger als 100 Tage im Hochsicherheitstrakt interniert, wuchs deren Zahl im vorigen Jahr auf 110. Auch ein Ausbau der Unterkunft, wie in den kommenden Monaten geplant, ändert nach Ansicht von Kauffmann nichts an den "menschenverachtenden Zuständen" dort. Das Frankfurter Oberlandesgericht bezeichnete 1996 die "abgeschlossenen und so eng begrenzten Räumlichkeiten" als "Hafträume im Sinne des Gesetzes". Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), schlägt nun vor, die Flüchtlinge für die Dauer des Verfahrens in ein nahe gelegenes Heim mit vielen freien Plätzen zu verlegen und vor allem die Aufenthaltsdauer zu verkürzen. Seit 1993 gab es über 100 Fluchtversuche; allein in den vergangenen drei Jahren 18 Selbstmordversuche. Zwei Menschen hängten sich an einem Lüftungsrohr auf; einer öffnete sich die Pulsadern; ein anderer versuchte sich mit seinem Gürtel zu ersticken. Einer schlug seinen Kopf gegen eine Doppelglasscheibe; häufig wurden verschriebene Medikamente, meist Psychopharmaka, in Überdosis geschluckt. Die Aufmerksamkeit von Sozialarbeitern und Zivildienstleistenden hat häufig Schlimmeres verhindert. Nur bei Naimah H. kam jede Hilfe zu spät. Jetzt wird gemutmaßt, dass sie gar keine Algerierin war, sondern "irgendwo aus Nordafrika" stammte. Als ob sie das wieder lebendig machte. onl, FRANKFURT/M |