junge Welt, 22.05.2000 Papiertiger gegen Atomwaffenarsenale Nuklearmächte verpflichten sich zur Abrüstung - ohne Umsetzungspläne. jW-Bericht UNO-Generalsekretär Kofi Annan gab sich am Sonntag begeistert: Eine »historische Übereinkunft« hätte es bei der Überprüfungskonferenz des Atomwaffen-Sperrvertrags in New York in der Nacht zuvor gegeben. Gemeint ist damit die Zusage der fünf offiziellen Atommächte (USA, Frankreich, Großbritannien, Rußland und China) zur Abrüstung aller Nuklearwaffen. Erst in allerletzter Minute war es zu der Entscheidung gekommen. Die Atommächte gehen in der Vereinbarung eine »eindeutige Verpflichtung zur Vollendung der völligen Abrüstung ihrer nuklearen Waffenarsenale« ein. Die Verabschiedung der Erklärung wurde durch einen Kompromiß zwischen Irak und den USA ermöglicht - ein Streit zwischen Washington und Bagdad über die angebliche Entwicklung von Atomwaffen in Irak hatte eine Einigung aller 187 Konferenzteilnehmer zum geplanten Abschluß am Freitag verhindert. Mit dem bei internationalen Konferenzen nicht unüblichen Anhalten der Uhren rettete der Präsident der Konferenz, der algerische UN-Botschafter Abdallah Baali, den Erfolg. Bei den nur alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen zum Sperrvertrag, den inzwischen 187 Staaten unterzeichnet haben, hatte es zuletzt vor 15 Jahren Einigkeit über eine gemeinsame Abschlußerklärung gegeben. Was im ersten Moment tatsächlich wie eine historische Erklärung aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als Schritt ohne praktische Konsequenzen. Denn die Abrüstungsverpflichtung ist nicht an einen konkreten Zeitplan gebunden. Damit bleibt es völlig offen, wann es zu Abrüstungsschritten kommen wird. Zudem geht die New Yorker Erklärung ohne einen konkreten Plan der Umsetzung kaum über die bisherigen Dokumente hinaus. Selbst der 1970 in Kraft getretene Atomwaffen-Sperrvertrag, dessen Einhaltung die Konferenzteilnehmer jetzt erneut überprüften, regte bereits Verhandlungen für wirkliche Abrüstungsschritte an. Nicht zuletzt deshalb, weil mit dem Abkommen lediglich die Verbreitung von Kernwaffen, ihr Kauf oder ihre Herstellung durch Nicht-Atom-Mächte verboten werden. Gerade das Verhalten der Atommächte stößt daher bereits seit langem auf die Kritik vor allem der Entwicklungsländer. So hatte Mexiko als Sprecher mehrerer Länder, die die Abrüstung befürworten, zu Beginn der Konferenz konkrete Maßnahmen für den schrittweisen Abbau der nuklearen Waffenarsenale von den Atommächten verlangt. Der Chef der mexikanischen Delegation, Antonio de Icaza, zeigte sich allerdings nach Tagungsende trotzdem erleichtert: Schließlich könne man angesichts der Erklärung der Großmächte »etwas hoffnungsvoller« sein. Viele Delegierte hätten bereits ein Scheitern der Konferenz und eine weitere Schwächung des Atomwaffen-Sperrvertrags befürchtet. Überraschend wäre dies nicht gewesen. Schließlich hatten Pakistan und Indien mit ihren Nukleartests von 1998 den Bemühungen um einen weltweiten Abbau der Atomarsenale ebenso einen herben Rückschlag versetzt wie die mehr oder minder offene Nuklearrüstung Israels. Und nicht zuletzt wurde selbst in den USA letztes Jahr demonstriert, wie wenig man von der Beseitigung der Atomwaffen hält: Im Senat fiel die Ratifizierung des inszwischen 30 Jahre alten Atomteststopp- Vertrags abermals durch.
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