junge Welt, 22.05.2000 Was darf Satire? Dieter Hildebrandt versteht die Aufregung der Wiesbadener CDU nicht. Den Unionspolitikern sei offenbar, so Hildebrandt, der Satirevorbehalt unbekannt. Die Christdemokraten in der hessischen Landeshauptstadt sind seit seiner Sendung »Scheibenwischer« vom 12. April diesen Jahres in heller Aufregung und haben am Wochenende angekündigt, gegen den Münchener Kabarettisten strafrechtlich vorzugehen. Der Grund: Die Kritik Hildebrandts an der Abschiebung eines kurdischen Familienvaters aus Wiesbaden brachte die hiesigen Unionspolitiker so sehr auf die Palme, daß jetzt, geht es nach dem Willen des CDU-Oberbürgermeisters Hildebrand Diehl, die Justiz sich mit den in der ARD-Satiresendung gemachten Äußerungen beschäftigen soll. Dieter Hildebrandt hatte die Abschiebung des Kurden Abdulcabbar Akyüz im Februar diesen Jahres und die gleichzeitig ausgesprochene Ankündigung, auch die ganze elfköpfige Familie müsse Wiesbaden verlassen, obwohl Familienmitglieder in der Vergangenheit in ihrer Heimat Türkei Opfer von Mißhandlungen und sexueller Gewalt wurden (siehe jW-Interview vom Samstag mit Uwe Remus, dem Anwalt der Familie), in seiner Sendung mit bissigen Worten kommentiert. Der Kabarettist fragte sich, was das für Leute seien, die Menschen in ein Land abschieben, in denen ihnen die Verfolgung und Folter drohen. Und schob hinterher: »Vielleicht wollen die nachträglich in die SS eintreten. Man weiß es nicht.« Diese Sätze führten in Wiesbaden zu heftigen Auseinandersetzungen. Auf einer Sitzung der Stadtverordnetenversammlung waren sie ein besonderer Tagesordnungspunkt. Eine Kundgebung gegen die Abschiebung der Familie, die Ende April vor der Wiesbadener Ausländerbehörde stattgefunden hatte, und die Rede von Annette Fröhlich von »kein mensch ist illegal Wiesbaden« brachte die CDU dann noch zusätzlich in Wallung. In ihrer Rede zitierte Fröhlich den Kabarettisten und warf außerdem dem Leiter der Wiesbadener Ausländerbehörde und dem OB vor, sie versuchten mit unsauberen Mitteln, »Asylbewerber loszuwerden«. Da Hildebrandt seine Aussagen in der Zwischenzeit nicht zurückgenommen hat, was die örtlichen CDU-Leute von ihm verlangten, will Bürgermeister Diehl nun strafrechtlich gegen den Kabarettisten vorgehen. Angesichts der Ereignisse in den letzten Wochen ein Schuß, der an sich nur nach hinten losgehen kann. Denn Herr Akyüz ist nach seiner Abschiebung, wie vom Unterstützerkreis der Familie befürchtet, tatsächlich in die Fänge der türkischen Sicherheitskräfte geraten. Wie bereits nach einer Abschiebung vor einigen Jahren wurde der Familienvater nach seiner Ankunft in der Türkei auch diesmal wieder festgenommen, verhört und mißhandelt. Um weiteren Mißhandlungen und Folter zu entgehen, lebt er nun untergetaucht in wechselnden Verstecken in der Türkei. Sein Schicksal wurde mittlerweile von einem stern- Reporter, der Herrn Akyüz in einem Versteck in der Türkei traf, thematisiert. Selbst ein Fernsehteam des ZDF hat sich in den vergangenen Tagen mit der Leidensgeschichte der Familie Akyüz beschäftigt. Für die verantwortlichen Stellen in Wiesbaden dennoch kein Anlaß, ihre Abschiebepolitik zu überdenken: Geht es nach dem Willen der Ausländerbehörde, sollen auch die anderen Familienmitglieder, darunter ein Sohn, der in der Vergangenheit ebenfalls Opfer von sexueller Gewalt und Folter in der Türkei wurde, abgeschoben werden. Für Hildebrandt Grund genug, bei seiner Aussage zu bleiben: Wenn Menschen in Deutschland im Morgengrauen aus ihren Unterkünften abgeholt und in ein Land abgeschoben würden, in dem ihnen Verfolgung, Folter und Mord drohen, dann erinnere ihn das nun einmal an »Gestapo-Methoden«, so Hildebrandt gegenüber dem Wiesbadener Kurier und der Frankfurter Rundschau. Thomas Klein
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