Neue Zürcher Zeitung (CH), 22. Mai 2000 Amerikanisch-irakischer Zwist in New York Verspäteter Abschluss der Atomsperrvertrags-Konferenz Die Überprüfungskonferenz des Atomsperrvertrages in New York ist am Samstag bis in den Abend hinein verlängert worden, um zu verhindern, dass die Diplomaten ohne Vereinbarung nach Hause gehen mussten. Blockiert wurden die Verhandlungen durch einen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak. bt. New York, 20. Mai Nach unzähligen Aufschüben hat die Überprüfungskonferenz des Atomsperrvertrages, des sogenannten Non-Proliferation Treaty (NPT), am Samstagabend schliesslich doch noch ein gemeinsames Schlussdokument verabschiedet. Der Grund für die fast 20-stündige Verlängerung der Konferenz über das offizielle Ende am Freitag um Mitternacht hinaus war ein Streit zwischen den Amerikanern und den Irakern über die Art der Formulierung, mit der im Schlussdokument auf die Probleme der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) im Irak hingewiesen werden sollte. Während die Iraker darauf bestanden, dass nur die im Zusammenhang mit den NPT-Kontrollen erstellten IAEA-Berichte Eingang in den Text zu finden hätten, wollten die Amerikaner auch Aufforderungen zu Kontrollen auf Grund von nicht genauer spezifizierten Resolutionen des Sicherheitsrates einbauen. Die Stelle sollte gewissermassen im Gegenzug zur namentlichen Nennung von Israel erfolgen, das zum Beitritt zum Atomsperrvertrag aufgefordert wird. Ein solcher Beitritt würde zur Offenlegung des in Israel vermuteten Nuklearwaffenarsenals führen. Angst vor Schaden an Glaubwürdigkeit Die unnachgiebige Haltung der beiden Kontrahenten führte zusammen mit der wenig überzeugenden Leitung der Konferenz durch den algerischen Uno-Botschafter Abdallah Baali dazu, dass es während 24 Stunden immer wieder den Anschein machte, der Streit könnte die Verabschiedung eines gemeinsamen Schlussdokumentes überhaupt verhindern. Erst der immer grösser werdende Unmut vieler Delegationen, deren Geduld durch stundenlanges Warten ohne Information über das Seilziehen hinter den Kulissen strapaziert wurde, führte zusammen mit der Angst, dass ein chaotischer Konferenzabschluss ohne gemeinsames Arbeitspapier der Glaubwürdigkeit des Vertrages erheblichen Schaden zufügen könnte, schliesslich zu einer Einigung. Die Amerikaner, die dem Anlass insgesamt kaum grosse Bedeutung beizumessen schienen, wollten offenbar vermeiden, dass man sie für ein Scheitern der Konferenz und damit eine Schwächung des Non- Proliferations-Regimes verantwortlich machen könnte. Eine abgespeckte Version des Verweises auf Resolutionen des Sicherheitsrats ergab schliesslich den Kompromiss, den auch der Irak akzeptieren konnte. Das nun verabschiedete Schlussdokument erweist sich allerdings als weniger epochemachend, als in verschiedenen «Durchhalte-Appellen» der Eindruck erweckt wurde. Der Text mit gegen 200 Paragraphen bekräftigt über grosse Strecken frühere Positionen, darunter auch, dass man an der Förderung der Kerntechnologie in den Mitgliedstaaten und insbesondere auch in der Dritten Welt festhalten wolle und entsprechende Gelder bereitzustellen sind, eine von manchen Europäern in Frage gestellte Grundprämisse des Vertrages. Kuba, Indien, Pakistan und Israel, die einzigen Länder, die dem NPT noch nicht angehören, werden dringend aufgefordert, ihm bedingungslos beizutreten. Dabei wird betont, dass die Nukleartests von Indien und Pakistan in keiner Weise den Status eines Nuklearwaffenstaates mit sich brächten. Eine härtere Sprache gegenüber den zwei südasiatischen Staaten scheint unterblieben zu sein, weil sich manche Nuklearmächte die Möglichkeit für Geschäfte offen behalten wollen. Ein grosses Interesse galt an der Konferenz den Abrüstungsbemühungen der Atomwaffenstaaten, zu denen sie laut Vertrag verpflichtet sind. Nicht nur, wie viel Lob für die gemachten und wie viel Tadel für das Fehlen von Schritten in der Diplomatensprache enthalten sein sollte, war Gegenstand langer Verhandlungen. Als grossen Erfolg wurde von manchen insbesondere die Auflistung der Vereinbarung von verschiedenen praktischen Schritten gefeiert, darunter die Nennung von «eindeutigen Bemühungen der Nuklearwaffenstaaten, eine totale Elimination ihrer nuklearen Arsenale zu erreichen, die zu einer nuklearen Abrüstung führe, zu der alle Staaten verpflichtet seien». Dazu gehören laut dem Konferenzdokument «Schritte aller Nuklearwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung, in einer Art, die auf einer unverminderten Sicherheit für alle basiert und internationale Stabilität fördert». Unterschiedliche Interpretationen Dass diese «Formel» von den einzelnen Atomstaaten unterschiedlich interpretiert werden dürfte, ist klar. Skeptiker meinen, unter diesem Titel lasse sich allenfalls sogar auf- statt abrüsten. Zu den genannten Schritten gehören unilaterale Reduktionen von Nukleararsenalen, mehr Transparenz bei den Nuklearkapazitäten, Reduktionen bei den taktischen Kernwaffen, Verabredungen über konkrete Massnahmen zur Verminderung des Bereitschaftsstatus, eine geringere Rolle der Atomwaffen in der Sicherheitspolitik der einzelnen Länder sowie das Engagement, sich, sobald es angemessen ist, für die völlige Beseitigung der Nuklearwaffen einzusetzen. Zudem wird die Genfer Abrüstungskonferenz gedrängt, sich auf ein Programm zu einigen, das den sofortigen Beginn der Verhandlungen für ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial umfasst mit der Absicht, diese in fünf Jahren zu beenden. Wie weit das New Yorker Papier wirklich, wie zum Teil erhofft, zur Deblockierung der Genfer Abrüstungskonferenz führen wird, muss sich aber noch zeigen.
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