taz 23.5.2000

Tolerant mit Schily? Nein danke!

Innenminister Schily und Justizministerin Däubler-Gmelin feiern heute ein "Bündnis für Demokratie und Toleranz" in der Berliner Staatsoper. Babs und Boris Becker kommen - doch wichtige Menschenrechtsorganisationen haben Abgesagt

von LUKAS WALLRAFF

"Das Ganze ist ein unsägliches Ding." Brigitte Erler kommt heute nicht in die Berliner Staatsoper. Im Gegensatz zu Boris Becker und weiteren 300 Ehrengästen hat die Vorsitzende der Anti-Rassismus-Organisation "Aktion Courage" keine Lust, an einer "Jubelveranstaltung" teilzunehmen, bei der schöne Reden geschwungen werden und "bei der sich die Minister beklatschen lassen".

Für die ehemalige SPD-Entwicklungshilfe-Politikerin Erler ist die feierliche Auftaktveranstaltung des "Bündnis für Demokratie und Toleranz" mit Bundesinnenminister Otto Schily und Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (beide SPD) heute in Berlin eine "Verhohnepipelung der Menschenrechtsorganisationen, die täglich mit den Problemen zu tun haben und die ernsthaft daran arbeiten".

Erler ist nicht die Einzige, die fehlen wird: Neben "Aktion Courage" haben auch amnesty international und Pro Asyl ihre Teilnahme abgesagt. In einem gemeinsamen Brief an Schily und Däubler-Gmelin beklagen sie, nicht in die Vorbereitungen einbezogen worden zu sein. Außerdem seien die konkreten Ziele des Bündnisses bisher "völlig unklar". Amnesty, Pro Asyl und Aktion Courage fordern deshalb die "Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Inititativen bei der Planung und Durchführung von Aktivitäten des Bündnisses", eine "genau definierte Zielsetzung" und nicht zuletzt auch eine "ausreichende Finanzierung".

"Das Bündnis ist gut gemeint, aber was bisher gelaufen ist, reicht bei weitem nicht aus", kritisierte gestern Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann. Für ihn greift auch das Motto der offiziellen Veranstaltung ("Hinschauen, handeln, helfen") zu kurz: "Statt nur an den Einzelnen zu appellieren", müsse man auch darüber reden, "was sind die staatlichen Anteile am Rassismus". Dass ausgerechnet das Innenministerium bei einem Bündnis für Toleranz federführend sei, empfindet er als blanken Hohn. Gerade Schilys Abschiebepolitik und die Zustände auf den Flughäfen seien "das Resultat staatlich verordneter Untätigkeit und Wegschauens".

Auch die Flüchtlingsräte von Berlin und Brandenburg sagten gestern ihre Teilnahme ab - weil sich die Hoffnungen auf eine "neue positive Flüchtlingspolitik" unter Rot-Grün nicht erfüllt hätten.

Die zahlreichen Absagen trüben natürlich eine Festveranstaltung, die als Startschuss zu einer breit angelegten Kampagne "unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen" gedacht war. "Natürlich bedauere ich das", gab die Staatssekretärin im Innenministerium, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), gestern zu. Doch ihrer Meinung nach "läuft die Kritik ins Leere". Alle Nichtregierungsorganisationen seien "mehrmals im Rahmen des Forums gegen Rassismus über die Vorbereitungen informiert worden".

Sonntag-Wolgast kann sich den Ärger nur mit einem "Missverständnis" erklären. Die heutige Veranstaltung sei nicht als "Schlusspunkt" gedacht, "bei der wir uns selber feiern wollen". Im Gegenteil: "Jetzt ist der Zeitpunkt, das Ganze einzuläuten." Dazu brauche man natürlich auch die ohnehin engagierten Organisationen, "aber eben nicht nur". Sie freut sich deshalb, dass auch Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsvertreter mitmachen.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Cem Özdemir, hat mehr Verständnis für den Ärger der NGOs: "Ich bedaure, dass das im Vorfeld nicht besser gemanagt wurde."

Özdemir kündigte an, dass er gemeinsam mit der Vorsitzenden des Innenausschusses, Ute Vogt (SPD), einen Antrag in den Bundestag einbringen werde: Es sollten gezielt Modellprojekte gefördert und der Schutz vor rechten Gewalttaten verbessert werden.