junge Welt, 23.05.2000

Interview

Werden Antiterrorgesetze abgeschafft?

jW sprach mit Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen)

Der Bundestagsabgeordnete war viele Jahre einer der Verteidiger der 1975 verurteilten RAF-Mitglieder und von den Antiterrorgesetzen persönlich betroffen, als er 1982 vom Berliner Landgericht wegen Unterstützung einer »kriminellen Vereinigung« zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde)

F: Vor 25 Jahren begann in Stammheim der RAF-Prozeß. Aus diesem Anlaß haben mehrere Kollegen aus der Fraktion und auch andere prominente grüne Politiker die Abschaffung der weiterhin geltenden Antiterrorgesetze gefordert. Welche Chancen sehen Sie, daß dieses Thema demnächst auf die Tagesordnung kommt?

Das ist eine alte grüne Forderung, die auch noch im Wahlprogramm von 1998 steht. Aber wir haben bisher noch keine gemeinsame Initiative von SPD und Grünen hingekriegt. Welche Chancen das hat, kann ich schwer beurteilen. An uns liegt es nicht.

F: Warum ist diese Forderung der Grünen bisher bei der SPD auf Ablehnung gestoßen, warum sieht das SPD- Bundesjustizministerium offenbar keinen Handlungsbedarf?

Das weiß ich nicht, ich kann da nur spekulieren. Es gibt ja eine ganze Reihe von Gesetzen, die sind nicht nur dringend reformbedürftig, sondern überflüssig und sogar politisch schädlich. Das Kontaktsteuergesetz etwa, das ja nach 1977 nie mehr angewandt worden und das in jeder Hinsicht rechtlich problematisch ist. Oder der Paragraph 129 a, der Werbung und Unterstützung für eine »kriminellen Vereinigung« unter Strafe stellt und in vielfacher Weise mißbraucht worden ist.

Ich nehme an, daß diese Dinge nicht in Einzelgesetzen geregelt werden können, sondern daß man das im Rahmen einer Reform sowohl im Bereich des Strafprozeßrechtes als auch des Strafgesetzbuches regeln müßte.

F: Würden Sie der Aussage Eberhard Kempfs vom Deutschen Anwaltsverein zustimmen, daß nach dem Paragraph 129a praktisch niemals ein Urteil gefällt worden sei?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich weiß, daß unendlich viele Verfahren auf dieser Grundlage geführt worden sind und daß damit auch meist eine verschärfte Verfolgung der Beschuldigten verbunden war. Ich habe selber so einen Fall gehabt hier in Berlin, den Fall des Redakteurs Benny Härlin. Da sagte der Richter, er halte etwa die Trennscheibenregelung auch für unsinnig, aber sie müsse eben angewandt werden, weil der Vorwurf auf den Paragraph 129 a StGB gestützt war.

F: Welche Auswirkungen hatten diese Paragraphen auf das Agieren von Anwälten in politischen Prozessen?

Es gibt eine ganze Reihe von weiteren strafprozessualen Vorschriften, etwa Beschränkung der Möglichkeiten, Verteidiger zu beauftragen. Vor allem, daß bei Verhandlungsunfähigkeit von Angeklagten verhandelt und verurteilt wurde, war eine ganz schwerwiegende Neuerung, die damals in die Strafprozeßordnung aufgenommen wurde. In den Jahrzehnten vorher wurden sehr viele Verfahren gegen Verdächtige, die an den Massenmorden der Nazis beteiligt gewesen sein sollen, eingestellt wegen Verhandlungsunfähigkeit. Und bei den Leuten aus der RAF ist dann extra diese Vorschrift eingeführt worden: Selbst, wenn sie verhandlungsunfähig waren, konnte der Prozeß gegen sie weitergeführt werden. Das ist ja auch praktiziert worden.

F: Haben diese Gesetze auch in den letzten Jahren in Prozessen noch eine wesentliche Rolle gespielt?

Bis heute. Weil Leute beschuldigt werden, an den Revolutionären Zellen, die es auch schon seit vielen Jahren nicht mehr gibt, beteiligt gewesen zu sein, sind gerade erst vor zwei Wochen noch Menschen verhaftet worden.

Interview: Jana Frielinghaus