junge Welt, 24.05.2000 Interview jW sprach mit Gisela Seidler, Aktivistin der Kampagne »Kein Mensch ist illegal« in München F: Am kommenden Wochenende finden in mehreren Städten Protestaktionen auf Flughäfen gegen Abschiebungen statt. Gibt es einen konkreten Anlaß? Wir erinnern an diesem Wochenende an den Tod von Aamir Ageeb, der am 28. Mai 1999 in einer Lufthansa- Maschine auf dem Flug von Frankfurt nach Kairo starb. Mit den Aktionen will »Kein Mensch ist illegal« die Fluggesellschaft Lufthansa weiterhin unter Druck setzen, endlich Konsequenzen aus dem Todesfall zu ziehen und das Abschiebegeschäft einzustellen. F: Hatte es nach dem Tod von Aamir Ageeb keine Konsequenzen gegeben? Nur kurzfristige. Das Innenministerium hatte den BGS angewiesen, erst mal keine Abschiebungen in den Sudan durchzuführen und zunächst auf Helme und Fesseln zu verzichten. Ageeb war unter einem Motorradhelm erstickt. Das hat sich dann aber schnell wieder geändert. Inzwischen hat Herr Schily einen neuen Helm, ein neues Helmmodell sozusagen, vorgestellt, das angeblich Gefährdungen ausschließt. F: Die Aktionen am Wochenende richten sich gegen die Lufthansa. Spielt sie eine besonders üble Rolle bei Abschiebungen? Die Lufthansa spielt eine sehr starke Rolle im Abschiebe- Busineß. Das hat sicher auch mit ihrer Staatsnähe zu tun. Die Lufthansa ist zwar eine Privatgesellschaft, aber die Länder und auch der Bund haben sehr hohe Anteile an der Gesellschaft. Die Lufthansa ist zudem eine sehr angesehene Fluggesellschaft, was bei Abschiebeflügen eine große Rolle spielt, denn die Lufthansa darf überall landen. Sie ist bekannt für skrupellose Abschiebungen. Im vergangenen Jahr sollte zum Beispiel eine Frau aus Somalia, die tuberkulosekrank war, abgeschoben werden. Äthiopien-Airlines hat sich geweigert, die kranke Frau abzuschieben. Lufthansa ist sofort eingesprungen. Sie ist einfach willfährig. F: Die Proteste laufen jetzt schon eine ganze Weile. Gibt es Reaktionen von der Geschäftsleitung? Es gab eine sehr schnelle Reaktion. Die Lufthansa hat mit einer Pressekonferenz auf unsere Kampagne reagiert und hat behauptet, sie würde seit Juni 1999 keine Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen durchführen. Wir haben das nachrecherchiert. Das stimmt nicht. Es gibt zwar einzelne Fälle, in denen sich Piloten geweigert haben, die Abschiebungen durchzuführen, aber es gibt keine solchen Anweisungen an das Bordpersonal. F: Personal und Angestellte bekommen die Protestaktionen auf den Flughäfen direkt mit. Wie reagieren sie? Das hängt natürlich immer mit ihrer Einstellung zu Abschiebungen zusammen und damit, wie ausländerfeindlich oder rassistisch jemand ist oder eben nicht ist. Es gibt Äußerungen vom Flugpersonal, daß es gut sei, den Flüchtlingen den Mund zu verkleben, denn dann stören sie wenigstens nicht. Inzwischen ist auch teilweise bekannt, welche Piloten mitspielen und welche eher nicht mitspielen, so daß der Bundesgrenzschutz die Flüge gezielt buchen kann. Er nimmt eben die Flüge, wo er nicht mit dem Widerspruch des Piloten rechnen muß. F: In welchen Städten wird es am Wochenende Aktionen geben? Auf fünf Flughäfen laufen Aktionen: in Hamburg, Bremen, in Frankfurt/Main, in Köln/Bonn und in München. Dann wird es in einer Reihe kleinerer Städte zusätzliche Aktionen geben, erstaunlicherweise vor allem in süddeutschen Städten - Freiburg, Tübingen, Regensburg, München, Würzburg, Nürnberg. Dort werden Abschiebegegnerinnen und -gegner in den Innenstädten an Lufthansa-Reisebüros und Lufthansa- City-Centern Aktionen durchführen. Bis zur Lufthansa- Hauptversammlung am 15. Juni in Berlin werden wir versuchen, mit unseren Aktionen weiterzumachen. Dort werden wir dann auch sein und uns direkt mit dem Vorstand auseinandersetzen. Interview: Wera Richter * Infos unter: www.deportation-alliance.com oder 0172/ 8910825
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