junge Welt, 24.05.2000 Gezielte Beliebigkeit Kritik am »Bündnis für Demokratie und Toleranz« in Berlin Freundlich-unverbindlich hörte sich Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) all die harten Worte an, die Vertreter von Flüchtlingshilfsorganisationen und antirassistischen Initiativen am Dienstag vormittag an die Adresse der Bundesregierung richteten. Anlaß der Veranstaltung, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), dem Zentralrat der Juden und Gruppen wie Pro Asyl in der außerordentlich gediegenen Atmosphäre der Evangelischen Akademie am Berliner Gendarmenmarkt abgehalten wurde, war die Feierstunde anläßlich der offiziellen Begründung des »Bündnisses für Demokratie und Toleranz« in der Berliner Staatsoper. Viele der etwa 50 Teilnehmer der Zusammenkunft zeigten sich enttäuscht über die Nichteinbeziehung zahlreicher Menschenrechtsorganisationen in die Vorbereitung des Regierungsprojektes und dessen Konzeptionslosigkeit, in der sie ein Zeichen für den letztlich kaum vorhandenen Willen der rot-grünen Koalition zur Schaffung von Voraussetzungen für eine wirksame Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sahen. Während Volker Roßocha vom DGB-Bundesvorstand eher moderat das »Hin und Her bei der Vorbereitung« bemängelte und ausgerechnet das Bündnis für Arbeit zum Vorbild für ein gleichberechtigtes Agieren aller Beteiligten erhob, sparten andere Teilnehmer nicht mit direkten Angriffen auf die Politik von Rot-Grün. Welche Auffassungen führende Politiker vertreten, hat das Antirassistisch-interkulturelle Informationszentrum Berlin (ARiC) in einem »deutschen Alphabet« festgehalten. Unter dem tichwort »Gastrecht« findet sich dort die Äußerung Gerhard Schröders, wer »unser Gastrecht« mißbrauche, für den gebe es nur eins: »Raus und zwar schnell«. Annette Köppinger, stellvertretende Bundesvorsitzende von Pro Asyl, machte darauf aufmerksam, daß der Innenminister persönliche Verantwortung für die Manifestierung fremdenfeindlicher Vorurteile trägt. Im November vergangenen Jahres hatte er behauptet, von 100 000 Flüchtlingen, die jährlich nach Deutschland kommen, seien »nur drei Prozent asylwürdig. Der Rest sind Wirtschaftsflüchtlinge«. Tatsächlich, so Köppinger, würden jährlich trotz aller Repressalien zehn Prozent aller Asylanträge positiv entschieden. In diesem Zusammenhang wies sie auch auf die erschütternde Tatsache hin, daß Flüchtlingen aus Afghanistan in der Regel kein Asyl gewährt wird. Die Begründung laute, Afghanistan sei kein Staat. Am Ende erklärte Volker Roßocha, trotz aller Kritik würden sich viele Nichtregierungsorganisation mit ihren Projekten auf dem Bebelplatz neben der Staatsoper vorstellen, der für diesen Nachmittag in einen »Markt der Initiativen« verwandelt worden war. Dort war unmittelbar nach Ende des DGB-Treffens gerade Rolf Wischnath, Generalsuperintendent der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und Vorsitzender des brandenburgischen »Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit«, dabei zu verdeutlichen, daß es dem Brandenburger Bündnis auch nicht etwa vorrangig um die Rechte derer geht, die von rechter und fremdenfeindlicher Gewalt betroffen sind. Sondern: man wolle »nicht zulassen, daß der gute Ruf unseres Landes durch die wenigen Gewalttäter verunziert« werde. Immerhin: im Unterschied zum Regierungsprojekt trägt diese Initiative wenigstens einen Namen, der auf die realen Gefahren hinweist. Ilona Schleicher vom Solidaritätsdienst international (SODI) macht dies denn auch als eines der gravierenden Defizite der Regierungsinitiative aus: »Das Diktum >gegen Gewalt und Extremismus< suggeriert wieder einmal, daß Gefahren für die Gesellschaft von rechts und links gleichermaßen ausgehen«, sagte sie gegenüber jW. Unterdessen hat Innenminister Schily die Kritik, Menschenrechtsorganisationen seien nicht in die Vorbereitung des Bündnisses einbezogen worden, zurückgewiesen. Während der Feierstunde lieferte er den erwarteten wohlfeilen Redebeitrag und erklärte unter anderem, eine Gesellschaft, die es hinnehme, daß Ausländer mißhandelt oder getötet werden, die den Schutz von Kindern und älteren Menschen vernachlässige, »verwirkt den Anspruch, eine zivile Gesellschaft zu sein«. Jana Frielinghaus
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