taz Nr. 6150 vom 24.5.2000 Seite 7

Theoretische Toleranz

Bündnis für Demokratie war nicht so gemeint: Minister Schily will keine Aktionsprogramme

von LUKAS WALLRAFF und ASTRID GEISLER

"Das ist keine Gegenveranstaltung", betonte Gastgeber Jürgen Micksch. Doch der Termin war natürlich eine Provokation: Zwei Stunden vor der offiziellen Regierungsveranstaltung zum "Bündnis für Demokratie und Toleranz" luden Interkultureller Rat und DGB zu einer "Ergänzungsveranstaltung" ins Haus der Evangelischen Kirche. Und natürlich war es als Protest zu verstehen, dass hier über die "Inhalte eines Bündnisses" diskutiert und die "Auffassungen von Nichtregierungsorganisationen" zur Sprache kommen sollten. Denn genau das hatte die Regierung versäumt.

Das Innenministerium hatte die wichtigsten Menschenrechtsgruppen nicht in die Vorbereitungen einbezogen und keinen einzigen NGO-Vertreter als Redner in die Staatsoper geladen. Ein Fehler, der zum Boykott der Festveranstaltung durch amnesty international und Pro Asyl führte - und den auch Pfarrer Micksch vom Interkulterellen Rat nicht verstehen kann: "Was ist das für ein Bündnis, bei dem die Bündnispartner fehlen?"

Gefragt seien nicht nur schöne Worte am Verfassungstag. Micksch forderte deshalb konkrete Maßnahmen von der Regierung. Ängste vor einer angeblichen Überfremdung können nur abgebaut werden, "wenn durch gesetzliche Regelungen klar gemacht wird, dass Einwanderung gewollt wird". Parteien, die fremdenfeindliche Parolen verbreiteten, sollten in Zukunft keine Wahlkampfkostenerstattung mehr erhalten. Dagegen müssten die Initiativen, die sich für den Abbau von Fremdenhass engagieren, finanziell unterstützt werden: "Bisher haben die NGOs keine Mark gesehen." Und das, obwohl sie nach Aussagen der Regierung eine "Schlüsselrolle" beim Bündnis für Toleranz spielen sollen.

Bisher wurden sie nicht einmal gefragt. Auch der Bundesausländerbeirat nicht. Dessen Sprecher Murat Cakir möchte "nicht die Rolle des larmoyanten Ablehners spielen", doch von Rot-Grün ist er enttäuscht: "Wir wollten nicht nur eine andere Regierung, wir wollten eine andere Politik." Zur Mitarbeit im neuen Bündnis ist Cakir trotzdem bereit - allein, er glaubt nicht, dass es der Regierung wirklich wichtig ist: "Eigentlich hätte der Bundeskanzler die Schirmherrschaft übernehmen müssen."

Doch Wahlen gewinnen kann man wohl eher mit latent ausländerfeindlichen Sprüchen. Dass ausgerechnet Innenminister Schily einer der "prominentesten Verfechter von Vorurteilen" sei, war für Pro Asyl ein Grund, dem Festakt in der Staatsoper fernzubleiben. Pro-Asyl-Specherin Annette Köppinger verlangte von Schily gestern, "die Diffamierung von Asylsuchenden als Wirtschaftsflüchtlinge sofort zu unterlassen."

Auch für seine Äußerung, die "Belastungsgrenze durch Zuwanderung" sei überschritten, erntete Schily auf der "Ergänzungsveranstaltung" heftige Kritik. "Damit belastet er das Bündnis", erklärte Gastgeber Micksch und forderte den Minister auf, die Bemerkung zurückzunehmen.

Ein frommer Wunsch, der sich gestern nicht erfüllte: Schily erwähnte in seiner Eröffnungsrede in der Staatsoper inhaltliche Fragen der Integrationspolitik mit keinem Wort. Bestätigt durften sich dagegen die Kritiker fühlen, die den Mangel an Konzepten beklagten. Denn Schily betonte, es gehe "nicht um eine Beschlussfassung über ein Aktionsprogramm, sondern um ein ideelles Bündnis".