taz Berlin 25.5.2000 "Haftdauer wird so kurz wie möglich gehalten" Rüdiger Jakesch, Staatssekretär für Inneres, beurteilt die Zustände im Abschiebegewahrsam als ausgesprochen positiv. Schuld an langen Haftzeiten sei die fehlende Kooperation der Häftlinge bei der Passbeschaffung. Zudem hätten die Abzuschiebenden vor der Haft meist Straftaten begangen taz: Herr Jakesch, vor zwei Wochen haben Sie erstmals die Abschiebegewahrsame in Grünau und in Tiergarten besucht. Was war Ihr Eindruck? Rüdiger Jakesch: Ich hatte insgesamt einen positiven Eindruck. Das Personal ist sehr qualifiziert, es besteht die Möglichkeit, Sport zu treiben. Die Verpflegung ist sehr gut und den verschiedenen Glaubensrichtungen angepasst. Den Häftlingen wird ein größtmöglicher Freiraum gewährt, und die Behörden tun alles, um die Haftdauer so kurz wie möglich zu halten. Teilweise bleiben Häftlinge dort aber bis zu 18 Monate lang. Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei 21 Tagen. Lediglich fünf Prozent der Häftlinge waren länger als 100 Tage im Gewahrsam. Für ein längeres Verweilen sind fast ausschließlich Verfahrensverzögerungen bei der Passbeschaffung die Ursache. Diese werden durch die mangelnde Kooperation der Betroffenen verursacht oder liegen an den monatelangen Passverfahren bei den Auslandsvertretungen. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, auf die Herkunftsstaaten einzuwirken, damit diese ihrer Verantwortung für die Rückübernahme eigener Staatsangehöriger gerecht werden. Die Häftlinge können häufig nicht zur Passbeschaffung beitragen. Die Rechtsanwälte der ukrainischen Frauen, die vor einigen Wochen im Hungerstreik waren, haben gesagt, dass die Botschaft die Passbeschaffung verzögert hat. Die Ukrainische Botschaft stellt grundsätzlich Passersatzpapiere aus. Es kommt aber teilweise zu Verzögerungen. Voraussetzung, um die Papiere zu erhalten, ist, dass die Betroffenen durch entsprechende Angaben die Überprüfung der ukrainischen Staatsangehörigkeit überhaupt möglich machen. Und wenn der Pass nicht zu beschaffen ist? Wenn bei einem Ausländer zwar die Voraussetzungen für die Abschiebehaft gegeben sind, die Abschiebung aber am Fehlen eines gültigen Passes scheitert, so sind die Mitarbeiter der Ausländerbehörde angewiesen, zu prüfen, ob der Ausländer gegen Auferlegung einer wöchentlichen Meldepflicht aus der Haft zu entlassen ist. In Abschiebehaft wird niemand gehalten, allein weil sich die Passbeschaffung bei seinem Heimatstaat verzögert. Ist die Meldepflicht die gängige Praxis oder eher die Ausnahme? Wie schon gesagt ist das Verhalten der meisten Langzeithäftlinge nicht so, dass die Mitarbeiter der Ausländerbehörde davon ausgehen könnten, dass der Meldepflicht auch gefolgt wird. Daher ist dies leider die Ausnahme. Was sind denn dann die Gründe für die Abschiebehaft? Abschiebehaft wird nur als letztes Mittel zur Sicherung der Abschiebung und nur durch ein unabhängiges, allein den Gesetzen unterworfenes Gericht angeordnet. Es handelt sich meistens um Personen, die vor ihrer Festnahme illegal gearbeitet haben, der Prostitution nachgegangen sind oder bei der Begehung von Straftaten festgenommen wurden. Dies sind die Gründe für das Festhalten in Haft, nicht aber Probleme bei der Passbeschaffung. In der Vergangenheit haben immer wieder Flüchtlinge mit Nahrungsverweigerung und Brandstiftungen gegen die Zustände in den Gewahrsamen und die lange Haft protestiert. Ich möchte Sie korrigieren. Gegen die Zustände in den Gewahrsamen wurde nicht protestiert. Ich verkenne aber nicht, dass gerade bei Langzeitabschiebehäftlingen aufgrund der Dauer der Haft und der damit verbundenen Ungewissheit über die eigene Zukunft medizinische und psychosoziale Probleme auftreten können. Nahrungsverweigerungen können ein Ergebnis davon sein. Nach meiner Auffassung ist die Nahrungsverweigerung aber auch ein gezielt eingesetztes und wirksames Mittel, um eine Haftentlassung auf diesem Wege zu erzwingen. Die Polizei beobachtet regelmäßig einen deutlichen Anstieg der Anzahl von Hungerstreikenden im Anschluss an bekannt gewordene Entlassungen, die aufgrund von Nahrungsverweigerungen vom Polizeiärztlichen Dienst empfohlen wurden. Diese Bestrebungen kann ich nicht unterstützen. Es stimmt, dass in der Vergangenheit Matratzen oder Fußböden mit Zigaretten "angekokelt" wurden. Zu Personenschäden ist es nicht gekommen. Die Häftlinge wollen auf sich und ihre Situation aufmerksam machen, um im Ergebnis damit ihre Entlassung zu bewirken. Dem Polizeiärztlichen Dienst wird von Flüchtlingsorganisationen vorgeworfen, dass die Häftlinge häufig zugunsten von Abschiebungen untersucht werden. Warum machen diese Untersuchungen keine neutralen Ärzte? Der Vorwurf, dass der Polizeiärztliche Dienst grundsätzlich zu Lasten der Betroffenen begutachtet, ist abwegig. Polizeiärzte sind wie andere Ärzte auch dem hippokratischen Eid verpflichtet. Interview: JULIA NAUMANN Foto-Text: Rüdiger Jakesch (59) ist Christdemokrat und seit Januar dieses Jahres Staatssekretär für Inneres. Der Polizeioberrat und gelernte Diplom-Verwaltungswirt war von 1983 bis 1989 Bürgermeister in Schöneberg. Von 1995 bis 1999 war Jakesch Mitglied im Abgeordnetenhaus und Vorsitzender des Innenauschusses. |