Wiesbadener Kurier, 25.5.2000 Eine Kirchenempore als Wohn- und Schlafzimmer Familie Akyüz findet breite Unterstützung/Propst Weber: "Kein Rechtsbruch, sondern Rechtsschutz" Von KURIER-Redakteurin Anke Hollingshaus WIESBADEN/MAINZ Der siebenjährige Sherif und sein zwölfjähriger Bruder Mehmet sitzen auf einer Matratze, eine Sammlung mit Brettspielen vor sich. Ihr "Kinderzimmer" ist die Empore der Kirche der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in Mainz. Das Matratzenlager ist seit dem Wochenende auch Wohn- und Schlafzimmer für elf Menschen. Emine Akyüz, ihre Kinder, die Schwiegertochter und ein Enkelkind haben wie berichtet in Mainz Kirchenasyl gefunden. Gestern verwandelte sich die Kirche in eine Art Pressezentrum. Kameras, Mikrophone, etwa 30 Journalisten waren gekommen. Draußen ein Streifenwagen, drinnen ein Podium, das deutlich machte, wie breit die Unterstützung für die kurdische Familie mittlerweile ist. Propst Dr. Friedrich Weber kam aus Wiesbaden, Karl-Heinz Schmitt vom katholischen Stadtsynodalamt, ESG-Pfarrer Dr. Ulrich Luig, Klaus Endter, Pfarrer der Wiesbadener Kreuzkirchengemeinde, Jochen Herlt vom Pfarrgemeinderat und Pastoralreferent Uwe Groß von der St. Elisabethgemeinde. Ines Welge vertrat den Flüchtlingsrat, Anwalt Uwe Remus gab Auskunft und auch Emine Akyüz, 45-jährige Mutter der Familie , sprach mit den Journalisten. "Wir haben Angst, dass sie uns töten, wenn wir zurück müssen", sagte sie. Und: "Was werden sie mit meinen Söhnen machen, wenn sie zum türkischen Militär müssen?" Alle drei Kirchengemeinden und der Flüchtlingsrat haben sich zum Offenen ökumenischen Bündnis Kirchenasyl Mainz/Wiesbaden zusammengeschlossen und rufen andere auf, sich ihnen anzuschließen. Wie geht es weiter? Wie berichtet hatte das Mainzer Innenministerium zugesagt, die Kurden nicht aus der Kirche zu holen. Eine ähnlich eindeutige Stellungnahme war, für den Fall, die Familie ginge nach Hessen zurück, aus Wiesbaden nicht zu bekommen. Michael Bußer, Sprecher von Innenminister Bouffier (CDU): "Wir werden den Kirchen deutlich machen, dass sie einen falschen Weg einschlagen." Oberbürgermeister Diehl war nicht zu erreichen. Propst Weber, der betonte, es handle sich beim Kirchenasyl "nicht um einen Rechtsbruch, sondern um einen Rechtsschutz", plädierte dafür, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. "Wir wollen öffentlich und gewaltfrei mit den Behörden nach Lösungen suchen." Er sei bereit, zu vermitteln. Geklärt werden muss vieles, denn ein Kirchenasyl ist keine kurzfristige Angelegenheit. Dürfen die Kinder zur Schule gehen? Werden Ärzte die Kurden behandeln? Gibt es eine Krankenversicherung? Während die Mutter mit Hilfe einer Dolmetscherin über ihr Schicksal in der Türkei berichtete, hatten sich der 15-jährige Aziz und seine Schwester Zubeyde (16) schon auf die Empore zurückgezogen. Aziz würde gerne wieder in Breckenheim Fußball spielen, Zubeyde ist traurig, dass sie ihre Freunde in der Comeniusschule nicht mehr sieht. |