junge Welt, 27.05.2000 Grüne Kriegspolitik Türkei baut mit BRD-Hilfe ein zerstörerisches Staudammprojekt In der Herrenrunde wurde Klartext geredet. Schließlich war man unter sich. Kürzlich trafen sich ein paar handverlesene Politiker der Grünen unter der Leitung von Außenamtsstaatssekretär Ludger Volmer in Potsdam zu einem außenpolitischen Strategiegespräch. Schwerpunkt war das Verhältnis zum NATO-Partner Türkei. Für das Fischer-Ministerium hat ein enges Bündnis mit der Türkei strategische Priorität. Die Herrenrunde bezog sich für dieses Vorhaben sogar auf die alte politische und militärische Allianz zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei aus der Zeit vor und während des 1. Weltkrieges. Die rot-grüne Regierung möchte die Türkei zum Subzentrum deutscher Interessen in Kleinasien aufbauen: politisch aufwerten und militärisch aufrüsten. Leider, so wurde in der Runde bedauert, habe man die Lieferung von 1 000 Leopard-Panzern ja erst mal auf Eis legen müssen. Zur Sprache kam auch das riesige Staudammprojekt, mit dem die Türkei das Wasser der Flüsse Euphrat und Tigris in insgesamt 21 Staubecken auffangen will. Man müsse jetzt der Türkei dafür die 150 Millionen D-Mark Hermeskredite bewilligen, um die Regierung in Ankara nicht noch mehr zu verärgern. Denn sonst, so war man sich einig, werden deutsche Interessen Schaden nehmen. Die politische und ökologische Katastrophe, die vor allem der Bau des Ilisu-Staudamms am Tigris, mitten im Land der Kurden, bedeutet, wurde in der Runde nicht thematisiert. Dabei wird gerade das Ilisu-Projekt seit Jahren schon von Ökologiegruppen in der ganzen Welt heftig kritisiert. Gründe dafür gibt es genug: regionalpolitische, militärische, ökologische, ökonomische und Menschenrechtsfragen. Durch das Auffüllen der Stauseen und die geplante Nutzung des Flußwassers zur Bewässerung von gigantischen Monokulturen wird die Wasserführung von Euphrat und Tigris um etwa 45 beziehungsweise zehn Prozent reduziert. Die Türkei ist durch die Stauseen in der Lage, die Nachbarländer Syrien und Irak politisch zu erpressen. Ohne Mühe kann die Türkei diesen Ländern das Wasser abdrehen. Aus diesen Gründen hat die Weltbank bereits 1984 entschieden, sich nicht an der Finanzierung zu beteiligen. Die militärstrategische Bedeutung der Staudammprojekte liegt für die Türkei darin, möglichen kurdischen Guerillakämpfern das Agieren in dieser Region unmöglich zu machen. Große Teile der dort lebenden Kurden werden kurzerhand vertrieben, so daß sich das lokale Unterstützerpotential für die Befreiungsbewegung erheblich reduzieren wird. Zudem werden die großen Stauseen die Bewegungsfreiheit von Guerillabewegungen erheblich beeinträchtigen. Das alles bestreitet die Türkei selbstverständlich. Sie gibt als Hauptentwicklungsziele für den Bau der 21 Staudämme mit 19 Kraftwerken rein ökonomische Gründe an: Erhöhung des regionalen Einkommensniveaus, Devisenwirtschaft durch exportorientierte Landwirtschaft und Sicherung der nationalen Elektroenergieversorgung. Stefan Michel von der Umweltorganisation NABU, der sich seit Jahren mit dem Projekt befaßt, sieht das allerdings ganz anders: »Diese Ziele dürften für sich genommen kaum zu realisieren sein. Einkommenssteigerungen sind vor allem für die am Projekt beteiligten Firmen, türkische Eliten und Großgrundbesitzer zu rwarten.« Verlieren werden vor allem die zahllosen Kleinbauern und die landlosen Arbeiter, die zur Abwanderung gezwungen werden. Zudem, so Stefan Michel, »gibt es überhaupt keinen Außenmarkt für die geplante Menge landwirtschaftlicher Erzeugnisse, und auch die Elektroenergieerzeugung durch Wasserkraft ist zu teuer und daher von unsicherer Rentabilität«. Die ökologischen Auswirkungen der dann 21 Stauseen sind für Michel noch nicht absehbar. »Nach Fertigstellung werden innerhalb der Türkei je etwa 50 Prozent der 750 Kilometer Flußstrecke des Euphrat und der 325 Kilometer des Tigris in der Türkei in Standgewässer umgewandelt sein. Das hat gravierende Auswirkungen auf diese Ökosysteme.« Eine Gesamt-Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt fand nie statt. »Weder existiert eine systematische Aufnahme des ökonomischen Zustandes der Region, noch wurden die zu erwartenden Änderungen der Ökosysteme analysiert«, erklärt NABU. Versinken im Ilisu-Stausee werden aber nicht nur Landflächen der Kleinbauern, sondern auch unermeßliche Kulturschätze und die Stadt Hasankeyd. Welche Völker im Laufe der Jahrtausende in dieser Region gelebt haben, ist nicht restlos geklärt. Es steht aber zweifelsfrei fest, daß sich hier ein bedeutendes Wohn- und Kulturzentrum Mesopotamiens befand. Archäologen gehen davon aus, daß das, was jetzt in den Fluten des Staudamms unwiederbringbar untergehen wird, historisch für die Geschichte der Menschheit von größerer Bedeutung ist als die Ausgrabungen von Troja. Während gegenwärtig das Wasser steigt und der Stausee sich langsam zu füllen beginnt, sind Archäologen aus aller Welt in Eile bemüht, zumindest noch einige Kulturschätze zu retten. Die in Hasankeyd illegal arbeitende Gruppe »Verein der Freiwilligen von Hasankeyd« appelliert an die Weltöffentlichkeit: »Die Zerstörung unserer Stadt durch das Staudammprojekt bedeutet die Vernichtung der Geschichte der Menschheit und einer Stadt verschiedener Zivilisationen. Mit dem Verlust dieser Stadt würden wir einen Teil unserer Geschichte verlieren, und künftige Generationen würden uns das nicht verzeihen.« Widerstand ist nur verdeckt möglich. Der türkische Staat ahndet Protest gegen das Projekt mit Haft und Folter, wie viele Besucher der Region übereinstimmend berichteten. Das mußte auch der Bürgermeister von Hasankeyd erfahren. Vahab Kusen war unlängst auf Einladung verschiedener Ökologiegruppen auf Vortragsreise in Europa unterwegs. Nach geplanten Vorträgen in Paris, London und Italien wollte der Bürgermeister auch nach Deutschland kommen. Schon bei seiner ersten Station in Paris erhielt Vahab Kusen allerdings in seinem Hotel massive Drohanrufe aus der Heimat und die Aufforderung, er möge seine Vortragsreise sofort beenden. Besorgt um seine Sicherheit hat der Bürgermeister seine Reise abgebrochen. Heike Drillisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED, die die Reise mitorganisiert hat, vermutet: »Möglicherweise befürchtet Herr Kusen, daß er nach seiner Rückkehr einem Nachspiel ausgesetzt sein könnte«. Grüne Berufspolitiker schert das allerdings wenig. Ökopax hin oder her. Sie werden weiter daran arbeiten, die faschistoide Türkei zum strategischen Partner Deutschlands aufzupäppeln. Bei dem Run auf das Öl im Kaukasus gibt es kein Pardon. Till Meyer
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