Die Welt, 27.5.2000 Reformer wollen den Iran aus dem politischen Abseits führen Konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlaments - Der ehemalige Präsident Haschemi Rafsandschani verzichtet auf sein Mandat Von Dietrich Alexander Berlin - Es ist ganz ohne Zweifel ein Meilenstein in der jüngeren Geschichte des Iran, wenn am heutigen Samstag das neu gewählte Parlament (Madschlis) zu seiner konstituierenden Sitzung in Teheran zusammenkommen wird. Die Wähler haben in den Parlamentswahlen vom 18. Februar den reformorientierten Politikern des Landes einen klaren Auftrag erteilt: Sie sollen das Land aus dem Schatten eines Pariadaseins befreien und die knebelnde Politik der erzkonservativen ideologischen Erben Ayatollah Chomeinis aufbrechen. Noch ist die genaue Sitzverteilung nicht klar, aber dass die Reformer zwei Drittel der insgesamt 290 Mandate gewonnen haben, steht außer Frage - auch wenn die Gegner einer allzu vehementen Öffnung des Landes ganz offensichtlich die eine oder andere Auszählung zu ihren Gunsten manipuliert haben. Nicht zuletzt, um die symbolträchtige Konstituierung des Parlaments zu retten, hatte Präsident Mohammed Chatami seine Anhänger in den vergangenen Wochen zur Ruhe aufgerufen. Grund zum Zorn hätten sie jedoch gehabt, schließlich hat die konservative Machtelite mit Hilfe ihrer Vasallen vom Justizministerium insgesamt 18 Zeitungen des Landes schließen lassen, darunter fast alle reformorientierten. Zudem wurde in der Hauptstadt am Wahlergebnis so lange herumgerechnet, bis es sich nicht mehr ganz so fatal für die Konservativen las: Bei der ursprünglichen Stimmenauszählung, die gemeinsam vom Wächterrat und dem Innenministerium vorgenommen wurde, hatten die Reformer von den 30 Teheraner Wahlkreisen 29 errungen, die Hardliner dagegen nur einen - auch den nur mit Ach und Krach. Bei dem jetzt vom Wächterrat gebilligten Ergebnis wurden den Reformern 26 und den Konservativen zwei Sitze zugesprochen, die restlichen zwei Mandate der Reformer wurden annulliert. Eines der beiden konservativen Hauptstadtmandate sollte der frühere Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani übernehmen. Doch der verzichtete überraschend auf seinen Sitz. Dabei sollte Rafsandschani auf der konstituierenden Sitzung von den konservativen Kräften zum neuen Parlamentspräsidenten nominiert werden. Seine Wahl galt allerdings als fraglich, denn die Parlamentsmehrheit halten erstmals seit der islamischen Revolution von 1979 die Reformkräfte um Präsident Mohammed Chatami. Rafsandschanis Entschluss wurde einen Tag nach einer Demonstration von 2000 Studenten bekannt gegeben, auf der sein Rücktritt gefordert worden war. Er selbst begründete seinen Mandatsverzicht in einem Brief mit den Worten: "Ich danke denen, die für mich gestimmt haben, und ich respektiere die, die das nicht taten. Ich habe mich an der Wahl beteiligt, weil ich die nationale Einheit schützen wollte. Und ich ziehe mich nun aus demselben Grund zurück." Der Rundfunksender, in dem dieser Brief verlesen wurde, meldete später, Rafsandschani habe sich nach eigenen Worten seit der Wahl vom 18. Februar "einem schweren Umfang negativer und falscher Propaganda" ausgesetzt gesehen. Dies habe seinen jetzigen Schritt ausgelöst. Der Rückzug des prominentesten Mandatsträgers der Konservativen bedeutet eine weitere Niederlage der iranischen Machtelite. Die Proteste gegen Wahlmanipulationen, Zeitungsschließungen und Verhaftungen prominenter Dissidenten und Journalisten hielten sich in Grenzen, zu Gunsten des höheren Zieles: Der Konstituierung des Madschlis. Vor allem waren die Demonstrationen weitgehend unblutig, nicht wie jene im vergangenen Jahr, die, berechtigt zwar, vor allem aber dem Präsidenten schadeten, weil sie den Konservativen ideologische Munition gegen den öffnenden Kurs des Präsidenten lieferten. Chatami sah sich schließlich genötigt, seine Treue gegenüber Religionsführer Ali Chamenei zu bekunden, wollte er nicht vom mächtigen Wächterrat abgesetzt werden. Es ist in diesen Tagen noch mehr möglich im Iran: Chatami konnte öffentlich seinen konservativen Widersachern eine einseitige Auslegung des Islam vorwerfen. In einer Rede zum dritten Jahrestag seines Wahlsieges (am 23. Mai 1997 wurde er mit fast 70 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 88 Prozent gewählt) erklärte er, niemand könne für sich ein Monopol auf die Auslegung des Islams beanspruchen. Und niemand könne seine Gegner denunzieren oder gar deren Ermordung anordnen - eine Anspielung des Präsidenten auf den Mordanschlag auf seinen Vertrauten Said Hadscharian am 12. März. Hadscharian, ein ehemaliger stellvertretender Geheimdienstminister, hatte offenbar bei der Aufdeckung der Verbindungen zwischen Geheimdienstagenten und fünf Morden an Dissidenten im Jahr 1988 geholfen. Chatamis Bemühungen zeitigen erste Erfolge. Die USA hoben ein Embargo gegen Pistazien und Teppiche aus dem Iran auf, die Weltbank bewilligte zum ersten Mal seit sieben Jahren einen Kredit für den Iran: 232 Millionen Dollar sollen in das Gesundheitswesen und in den Ausbau des Abwassersystems von Teheran investiert werden. Die Weltbank wies ausdrücklich darauf hin, dass sie damit auch die Reformbemühungen Chatamis unterstützen wolle.
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