taz 29.5.2000 In den Käfig verbannt "Wir sind menschliche Tiere." So beschreibt ein Asylbewerber die Lebensbedingungen auf dem Frankfurter Flughafen aus Frankfurt HEIDE PLATEN Nein, in die Duschräume führt Clemens Niekrawitz niemanden. Und in den engen, verwinkelten Fluren bleibt er nur ungern stehen. Er achtet auf die Privatsphäre seiner Schutzbefohlenen. Die Menschen aber, die Tage, Wochen oder Monate im Flughafen-Transit eingesperrt sind, wollen reden. Der 23-jährige Pakistaner Naweed M. ist erst seit zwei Wochen interniert. Einerseits, sagt er, fühle er sich hinter Gittern, Stacheldraht und Stahltüren wie in einem "human zoo", einem Menschenzoo: "We are human animals." Andererseits ist er froh über die Journalisten, die da seit drei Wochen mit Blocks und Kameras wieder einmal aus- und eingehen. Über seinen Asylantrag ist noch nicht entschieden. Vorsichtshalber lobt er in einem Atemzug auch die Humanität der Bundesrepublik. Zu besichtigen ist: der zweistöckige, graue Betonblock Nr. 182/183, ein ehemaliges Frachtlager, hinter Tor 3 zwischen den Terminals 1 und 2 gelegen. Draußen Natodraht auf Zäunen und Dächern, drinnen vernietete und verschweißte Fenster. Es riecht penetrant nach Bohnerwachs und Reinigungsmitteln, nach Schweiß und Kantinenessen. Es ist dunkel, die Luft stickig und heiß. Die Umluftanlagen pumpen Kerosin und Abgas in die Räume. Dem Widerstreit zwischen offensichtlichem Frischluftbedarf und rund 100 Fluchtversuchen in den vergangenen Jahren ist jüngst Rechnung getragen worden. Nach und nach werden stählerne, kleine Klappfensmit furchteinflößenden Gittern in die mit Sensoren gesicherten Fenster geschweißt. Die Lebensbedingungen in sechs engen Sechsbett- und einem Zehnbettzimmer sind so menschenunwürdig wie eh und je geblieben. Verbesserungsversuche lassen die Tristesse eher deutlicher werden. Das nach öffentlichen Protesten eingerichtete Spielzimmer für Kinder ist eine trübe Angelegenheit mit viel Plastik und ein wenig rosa Kunstfaserplüsch. Die Gebetsteppiche im Aufenthaltsraum liegen in den Ecken, als seien sie für den Sperrmüll bereitgelegt. Der Freigang, täglich zweimal eine Stunde, ist ein zehnminütiger Gefangenentransport zu einer von hohen Zäunen umgebenen einsamen Wiese unterhalb der Autobahn am Südostende des Flughafens, um die der Bundesgrenzschutz patrouilliert. Seit dem Abend des 6. Mai, als sich die 40-jährige Naimah H. an der Dusche erhängte, ist die Unterkunft wieder einmal ins Gerede gekommen. Naimah H. hatte sieben Monate Aufenthalt abwechselnd im Transit, im Krankenhaus, in Abschiebehaft und wieder im Transit hinter sich, ihr Asylantrag war abgelehnt worden. Der Frau, die angegeben hatte, sie sei in ihrer Heimat Algerien mehrfach von Polizisten vergewaltigt worden, war von den Entscheidern des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht geglaubt worden. Clemens Niekrawitz leitet seit drei Jahren den Flughafen-Sozialdienst, der die Menschen betreut, denen die Einreise in die Bundesrepublik vom Bundesgrenzschutz verweigert wird. Träger sind die katholische Caritas und der Evangelische Regionalverband Hessen. Der kleine Mann mit dem süddeutschen Zungenschlag versucht, professionelle Distanz zu den Flüchtlingen und ihren Einzelschicksalen zu wahren: "Wir betreuen die Leute. Wir werten nicht." Einfach ist das nicht. Man hatte, auch nach einem Ortstermin von Bundesinnenminister Otto Schily im Dezember 1998, Hoffnungen auf Rot-Grün gesetzt. Vergeblich. 18 Selbstmordversuche gab es in den letzten drei Jahren, zahlreiche Einweisungen in die Psychiatrie. Der Enttäuschung verlieh Pro Asyl Ausdruck. Rechtsreferent Bernd Mesovic sprach von "tödlicher Untätigkeit des Innenministers". Die in den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen versprochene Prüfung des Flughafenverfahrens im "Licht der Verhältnismäßigkeit" sei nicht eingehalten worden. Tatsächlich seien die Bedingungen härter geworden, Langzeitaufenthalte von mehreren Monaten nehmen trotz zweier Gerichtsurteile zu. Die Kritiker des Flughafenverfahrens sind auch mit der Zusage des Innenministeriums, dass Ende 2001 eine neue Unterkunft auf dem Flughafengelände eingerichtet sein soll, nicht glücklich. Sie fürchten, dass die Isolation der Menschen dann nicht erträglicher, sondern wieder nur perfekter werden wird.
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