taz 29.5.2000 "Recht ausgehebelt" Marieluise Beck (Grüne): "Innenministerium gestaltet Flughafenverfahren als Teil der Abschreckungsszenarien" taz: Die Grünen wollten das Flughafenverfahren immer abschaffen. Da hat sich nichts getan unter Rot-Grün. Im Herbst 2001 soll es immerhin neue Räume für die Asylbewerber geben. Reicht das, um die Situation zu verbessern? Marieluise Beck: Nein. Das Flughafenverfahren und seine irrwitzigen Bedingungen gibt es seit 1993. Bessere Räume schaffen kann nur der erste Schritt sein. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Menschen dort nicht länger als die gesetzlich vorgeschriebenen 19 Tage bleiben müssen. Zur Zeit werden Leute mitunter mehr als zehn Monate am Flughafen festgehalten. Wie halten die Menschen das dichte Zusammenleben aus? Sehr schlecht. Menschen schlagen mit dem Kopf gegen die Betonwände. Menschen schreien und bekommen Schaum vor dem Mund, bekommen Kiefersperre. Menschen reißen sich Haarbüschel vom Kopf, brechen zusammen und schlagen um sich. Und es gibt auch immer wieder versuchte Suizide. Wieso wird von Seiten des für das Verfahren zuständigen SPD-geführten Bundesinnenministeriums nichts getan, solche Dinge zu verhindern? Der explizite Wille des Bundesinnenministeriums ist es, das Flughafenverfahren als Teil der Abschreckungenszenarien zu gestalten, um Einreisen über die Flughäfen zu verhindern. Jede aus humanitären Gründen notwendige Verbesserung, zum Beispiel die Herausnahme der unbegleiteten Minderjährigen, die Verkürzung der Verweildauer im Transitbereich oder auch die Gewährung der Einreise in so kritischen Fällen wie bei dieser Asylbewerberin wird als Schlupfloch gewertet und vehement bekämpft. Es geht gar nicht um den einzelnen Fall, sondern um ein Prinzip. Um des Prinzips der Abschreckung und Abschottung willen ist man auch bereit, einen sehr hohen Preis zu zahlen. Und das nehmen die Grünen, die immer gern auf die Beachtung der Menschenrechte dringen, einfach so hin? Als Grüne lehnen wir das Flughafenverfahren ab. Aber innerhalb der Koalition ist es uns bisher nicht gelungen durchzusetzen, dass wenigstens die gesetzlichen Bestimmungen zur Verfahrensdauer eingehalten werden. Darüber wollen wir jetzt wieder neu verhandeln. Als kleinerer Koalitionspartner müssen wir das Flughafenverfahren akzeptieren, aber es gibt ein Gesetz, und das schreibt eine Verweildauer von maximal 19 Tagen vor. Danach sollte ein unabhängiger Richter entscheiden, ob der Asylsuchende einreisen darf oder wegen Fluchtgefahr in Zurückweisungshaft kommt. Mit der Abschiebehaft haben die Grünen weniger Probleme? Darum geht es nicht. Wir haben im Transitbereich einen rechtsfreien Raum: Wir haben keinen Haftrichter, der die Haftfähigkeit prüft. Ich glaube, in Abschiebehaft wäre das, was sich im Transitbereich abspielt, kaum möglich. Dort hat der Haftrichter die Verantwortung. Außerdem hat ein Richter auch noch die Möglichkeit zu sagen, eine Passbeschaffung dauert mehr als drei Monate, und das liegt nicht in der Verantwortung des Betroffenen, sondern in der des Staates, der den Pass ausstellen soll. So lange kann der Asylsuchenden nicht in Abschiebehaft bleiben. Diese Überprüfung findet am Flughafen nicht statt. Werden Asylsuchenden hier Rechte vorenthalten? Ja. Recht und Gesetz werden durch den informellen Weg, den der Bundesgrenzschutz mit Billigung des Bundesinnenministeriums geht, ausgehebelt. Es geht nicht, dass mit der von Flüchtlingen erzwungenen Freiwilligkeitserklärung, die 19-Tage-Frist komplett unterlaufen wird. Aber die Leute werden auch einem Richter vorgeführt, oder? Nein. Den Menschen wird nach 19 Tagen vom Bundesgrenzschutz gesagt, du kannst hier raus, aber du kommst in Abschiebehaft, oder du bleibst freiwillig hier. Dann fällt die Entscheidung scheinbar freiwillig für den Transitbereich, ohne dass ein Richter eingeschaltet wird. INTERVIEW: KARIN NINK
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