Kölner Stadtanzeiger, 31.5.2000 Wohlfahrtsverbände Kurswechsel gefordert in Flüchtlingspolitik Kritik an Rückführungen nach Bosnien Berlin - Die Wohlfahrtsverbände haben die Flüchtlingspolitik des Bundes und der Länder heftig kritisiert. Die Rückführungspolitik der Bundesländer gegenüber den bosnischen Flüchtlingen sei humanitär nicht mehr zu vertreten, sagte der Präsident des Diakonischen Werkes, Jürgen Gohde, am Montag in Berlin anlässlich der Vorstellung einer Studie über bosnische Flüchtlinge in der Bundesrepublik. An die Verantwortlichen wird deshalb appelliert, den 15 000 Bosnien-Flüchtlingen mit einem besonders schweren Schicksal ein Bleiberecht in Deutschland zu gewähren. Diese Menschen seien in Internierungslagern gewesen, traumatisiert oder gehörten zu den so genannten humanitären Härtefällen. Die Studie zur Situation bosnischer Flüchtlinge wirft den Länder-Innenministerien eine "im europäischen Vergleich ausgesprochen restriktive Rückführungspolitik" vor. Erhebungen der Studie ergaben, dass 8000 traumatisierte bosnische Flüchtlinge Ende 1999 in der Bun desrepublik behördlich geduldet waren. Die Autoren der Studie bemängelten, dass sich viele traumatisierte Flüchtlinge nicht in fachärztlicher Behandlung befänden und lediglich medikamentös behandelt würden. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) und die Flüchtlingshilfe- Organisation Pro Asyl appellierten an Bund und Länder, den Rückführungsbeschluss der Innenministerkonferenz vom Januar 1996, nach dem alle bosnischen Flüchtlinge Deutschland verlassen müssen, zu überdenken. "Die Zeit ist reif für einen neuen Ansatz", sagte der UNHCR-Vertreter in Deutschland, Jean-Noel Wetterwald. Er sei zuversichtlich, dass die deutsche Bevölkerung hierfür Verständnis und Sympathie zeigen werde. Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann sagte, die bosnischen Flüchtlinge seien nicht geeignet, "an ihnen ein Exempel gnadenloser Flüchtlingspolitik zu statuieren". Laut UNHCR lebten im April 37 078 bosnische Bürgerkriegs-Flüchtlinge in Deutschland. Bis Ende 1995 hatte die Bundesrepublik 350 000 der insgesamt 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte sich bei seinen Amtskollegen in den Ländern dafür eingesetzt, schwer traumatisierter Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina sowie aus dem Kosovo nicht ab zu schieben. Er legte den Länderministern nahe, bei medizinischer Behandlung der Flüchtlinge den gesetzlichen Rahmen für längerfristige Duldungen voll auszuschöpfen. Chronisch traumatisierten Menschen sollte generell eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden. (dpa, ap)
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