Frankfurter Rundschau, 30.5.2000 Bosnische Flüchtlinge Traumatisierte sollen bleiben dürfen BERLIN, 29. Mai (dpa/ap). Die Wohlfahrtsverbände und das UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) haben die Flüchtlingspolitik des Bundes und der Länder kritisiert und eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für traumatisierte bosnische Bürgerkriegs-Flüchtlinge gefordert. Die Rückführungspolitik der Bundesländer gegenüber den bosnischen Flüchtlingen sei humanitär nicht mehr zu vertreten, sagte der Präsident des Diakonischen Werkes, Jürgen Gohde, am Montag in Berlin anlässlich der Vorstellung einer Studie über bosnische Flüchtlinge in der Bundesrepublik. Die Verbände fordern, dass bei Flüchtlingen, die durch die Geschehnisse im bosnischen Bürgerkrieg traumatisiert wurden, über einen Ländererlass zunächst ein Abschiebehindernis festgestellt wird. Nach zwei Jahren solle dann eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden. Das UNHCR und die Organisation Pro Asyl appellierten an Bund und Länder, den Rückführungsbeschluss der Innenministerkonferenz vom Januar 1996, nach dem alle bosnischen Flüchtlinge Deutschland verlassen müssen, zu überdenken. "Die Zeit ist reif für einen neuen Ansatz", sagte der UNHCR-Vertreter in Deutschland, Jean-Noel Wetterwald. Er sei zuversichtlich, dass die deutsche Bevölkerung hierfür Verständnis und Sympathie zeigen werde. Pro Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann sagte, die bosnischen Flüchtlinge seien nicht geeignet, "an ihnen ein Exempel gnadenloser Flüchtlingspolitik zu statuieren". Laut UNHCR lebten im April 37078 bosnische Bürgerkriegs-Flüchtlinge in Deutschland. Bis Ende 1995 hatte die Bundesrepublik etwa 350000 der insgesamt 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Erhebungen der Studie ergaben, dass etwa 8000 traumatisierte bosnische Flüchtlinge Ende 1999 in der Bundesrepublik behördlich geduldet waren. Die Autoren der Studie bemängelten, dass sich viele traumatisierte Flüchtlinge nicht in fachärztlicher Behandlung befänden und lediglich medikamentös behandelt würden. Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte sich am Wochenende bei seinen Amtskollegen in den Ländern dafür eingesetzt, schwer traumatisierter Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina sowie aus Kosovo nicht abzuschieben. Die Bundesregierung tritt nach Worten ihrer Ausländerbeauftragten Marieluise Beck geschlossen für ein dauerhaftes Bleiberecht für Bosnien-Flüchtlinge mit besonders schwerem Schicksal ein. Auch solche Flüchtlinge, die sehr gut integriert seien, sollten bleiben dürfen, erklärte die Grünen-Politikerin am Montag in Berlin. Sie reagierte damit auf die Forderungen von Wohlfahrtsverbänden und UNHCR.
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