Süddeutsche Zeitung, 30.5.2000 "Viele brauchen weiter internationalen Schutz" Bleiberecht für Flüchtlinge aus Bosnien gefordert Mehr als 90 Prozent der ursprünglich 350 000 Menschen sind bereits in ihre Heimat zurückgekehrt / Von Christiane Schlötzer Berlin - Nach der Rückkehr von etwa 90 Prozent aller Bosnien-Flüchtlinge haben die großen Wohlfahrtverbände die Innenminister von Bund und Ländern aufgefordert, den etwa 37 000 Menschen, die in Folge des Kriegsgeschehens vor acht Jahren nach Deutschland kamen, ein Bleiberecht einzuräumen. Der Ausreisedruck, der auf die verbliebenen Flüchtlinge, darunter viele Traumatisierte und ihre Familien, ausgeübt werde, sei im "europäischen Kontext singulär", betonten die Vertreter von Caritas, Diakonie, Pro Asyl, Deutschem Roten Kreuz, Arbeiterwohlfahrt und UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) am Montag. In einer gemeinsam erstellten Studie kommen die Organisationen zu dem Schluss, ein Großteil der Bosnien-Flüchtlinge, die sich noch in Deutschland befinden, brauche weiterhin internationalen Schutz. Etwa 75 bis 80 Prozent stammten aus der Serbischen Republik. Darunter sind Deserteure, gemischte Ehen, aber auch alte und behinderte Menschen. Der UNHCR geht davon aus, dass in diesem Jahr noch 8000 Flüchtlinge in Drittländer weiterwandern, vor allem in die USA, wo bereits etwa 140 000 Bosnier dauerhaft Aufnahme gefunden haben. Darunter sind auch etwa 36 600 aus Deutschland, das zunächst 350 000 Menschen aufgenommen hatte. Mehrere tausend werden zudem im laufenden Jahr noch nach Bosnien zurückkehren, sodass die Zahl der Flüchtlinge im Dezember etwa 21 000 betragen dürfte. Ihnen sollte ein Daueraufenthaltsrecht gewährt werden, fordern die Wohlfahrtsverbände. Unter den Innenministern der Bundesländer gibt es derzeit keine Einigkeit darüber, ob traumatisierte Flüchtlinge und Lagerhäftlinge abgeschoben werden können. Ein genereller Abschiebestopp für diese Personengruppe existiert nicht mehr. So zitierte der UNHCR aus einem Brief einer bayerischen Ausländerbehörde, die einen Flüchtling aus dem berüchtigten Lager Trnopolje zum 31. Mai letztmals zur Ausreise aufforderte und der gesamten Familie die Abschiebung ankündigte. Der Mann hat einen Arbeitsplatz. Durch eine solche erzwungene Rückkehr würden Flüchtlinge "retraumatisiert", kritisierten die Verbände. Diese Meinung teilt auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der seine zuständigen Länderkollegen am vergangenen Samstag aufgefordert hatte, bei dieser Personengruppe den gesetzlichen Rahmen für längerfristige Duldungen voll auszuschöpfen. Schon die Androhung der erzwungenen Rückkehr und die Erteilung von jeweils nur auf drei Monate befristeten Duldungen mache mühevoll erreichte medizinische Behandlungserfolge zunichte, warnte Schily. Der Berliner UNHCR-Vertreter Jean-Noel Wetterwald schätzte die Zahl der "humanitären Härtefälle" unter den noch verbliebenen Flüchtlingen auf 15 000. Österreich habe 66 000 Menschen, Schweden 53 000 und Dänemark 27 000 Bosniern ein dauerhaftes Bleiberecht eingeräumt. Die Verbände verwiesen auch auf den Osterbrief von 100 Bundestagsabgeordneten, die sich ebenfalls für mehr Großzügigkeit im Umgang mit den Flüchtlingen eingesetzt hatten.
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