taz Bremen 31.5.2000 Röntgenzwang zum Empfang Niedersachsen röntgt systematisch alle Asylsuchenden / In Oldenburg wurde auch eine Schwangere bestrahlt / Wurden dabei Sicherheitsvorschriften der Röntgenverordnung missachtet? In Niedersachsen beginnt das Asylverfahren mit einer ärztlichen Pflichtuntersuchung. Dazu gehört das Röntgen des Brustkorbes - um das Personal der Flüchtlingsunterkünfte vor Tuberkulose zu schützen, so das Sozialministerium. In Oldenburg hatte diese Praxis nun fatale Konsequenzen: Sükran K. wurde gleich zweimal geröntgt, weil die erste Aufnahme nicht gelungen war. Hinterher stellte sich heraus, dass die Kurdin in der dritten Woche schwanger war. Ihr Frauenarzt konnte eine Fruchtschädigung nicht ausschließen. In der Übersetzung eines Dolmetschers klang das für die Schwangere wie ein Rat zur Abtreibung. Sie ließ das Kind abtreiben, das sie eigentlich bekommen wollte. Trotz schmerzhafter Komplikationen wurde die 36-Jährige vom Gesundheitsamt erst nach zwei Monaten erneut zum Gynäkologen überwiesen. Das Gesundheitsamt Oldenburg weist jede Verantwortung für den Vorfall von sich. Zwar hat eine Mitarbeiterin der Außenstelle in der Asylunterkunft Kloster Blankenburg die Röntgenuntersuchungen durchgeführt, aber die Schwangerschaft der Kurdin sei damals nicht bekannt gewesen, heißt es in einer Stellungnahme des Amts. Die Betroffene sei auch nicht auf die spezifischen Risiken von Röntgenaufnahmen bei Schwangeren hingewiesen worden, weil sie die Frage nach dem Vorliegen einer Schwangerschaft verneint habe. Dabei musste allerdings ihr Ehemann mit ein paar Brocken Englisch einspringen, ansonsten verließ man sich auf die Gestik. Ein Dolmetscher war bei beiden Untersuchungen nicht anwesend. "Das können wir gar nicht leisten bei den vielen Nationen, aus denen wir Asylbewerber aufnehmen", sagt der Leiter des städtischen Presseamts, Jürgen Krogmann. Ansonsten verweist er auf einen Erlass des niedersächsischen Sozialministeriums: Danach müssen alle Asylsuchenden untersucht werden - einschließlich Thorax-Röntgen. Das Ministerium beruft sich auf das Asylverfahrensgesetz, das eine solche Untersuchung vorschreibe. Tatsächlich findet sich dort eine Kann-Bestimmung - nur dass die Asylsuchenden die Untersuchung dulden müssen, ist festgelegt. Bremen beispielsweise verzichtet auf die Zwangs-Untersuchung und bietet den Flüchtlingen stattdessen eine freiwillige Gesundheitsberatung an. "Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht", sagt Heidrun Ide, Sprecherin des Sozialressorts. Sükran K., der nach abgelehntem Asylantrag die Abschiebung droht, hat inzwischen Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Sie sagt, sie sei nicht nach einer Schwangerschaft gefragt worden und habe keine Ahnung vom Röntgen-Risiko gehabt. Beim Röntgen, so die Betroffene, habe sie nicht einmal eine schützende Bleischürze für den Unterleib erhalten. Laut den Angaben zahlreicher Bewohner soll das ungeschützte Röntgen in der Unterkunft bis zu diesem Vorfall üblich gewesen sein. Das berichtet eine Sprecherin des in der Flüchtlingshilfe engagierten Arbeitskreises Konkrete Unterstützung (AKKU). Neuerdings würden nun Bleischürzen benutzt. Stadtsprecher Krogmann weist diesen Vorwurf entschieden zurück: "Schon immer wird in jedem einzelnen Fall ein Bleischutz verwandt." not
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