Basler Zeitung, 3.6.2000 Polizisten als Folterer Türkische Menschenrechtskommission rapportiert Istanbul. Systematisch und koordiniert wird auf türkischen Polizeiposten gefoltert. Zu diesem Befund ist der Menschenrechtsausschuss des türkischen Parlaments gekommen. Unter Leitung der Abgeordneten Sema Piskinsüt von Bülent Ecevits Demokratischer Linkspartei (DSP) tauchte der Ausschuss zwei Jahre lang mit Vorliebe morgens unangemeldet auf Polizeiposten im ganzen Land auf und beschlagnahmte Folterwerkzeuge. Dazu gehörte unter anderem ein mit Riemen versehener Balken, welcher, zwischen zwei Schränke gelegt, zum Aufhängen von Gefangenen gebraucht wurde. Keine Einzelfälle Politiker spielen die Vorwürfe immer wieder als Einzelfälle herunter, doch die Ergebnisse des Menschenrechtsausschusses sind eindeutig. So stiess die Kommission immer wieder auf die gleichen Methoden der Folter und ebenso auf die gleichen Tarnungen. Zum Beispiel fand der Ausschuss in Istanbul in einem als «Wartezimmer» bezeichneten Teil eines Polizeipostens eine Bank, nach deren Entfernung Foltervorrichtungen sichtbar wurden. Die gleiche Bank gab es auch in Batman und in Erzincan. Besonders schwer zu finden war ein anderes Folterinstrument, ein umgebautes Telefon, mit dessen Hilfe Gefangene mit Stromstössen an besonders empfindlichen Körperteilen, wie zum Beispiel den Genitalien, gequält wurden. Sema Piskinsüt fand heraus, dass dieses von Gefolterten immer wieder beschriebene Gerät in Polizeiwagen herumgefahren und nur bei «Bedarf» auf die Polizeiposten gebracht wird, um zu vermeiden, dass es bei einer unangekündigten Inspektion gefunden wird. Ausser auf überraschende Inspektionen stützte sich der Ausschuss auch auf zahlreiche Interviews mit häufig noch in Haft befindlichen Opfern, unter denen auch einige Kinder sind. Sie erzählten von verschiedensten Arten schlechter Behandlung und von Folter. Dazu gehört das Schlagen auf die Fusssohlen, welche anschliessend in Salz gedrückt werden. Andere Häftlinge erzählten, sie seien plötzlich geweckt und in eine Wanne mit kaltem Wasser getaucht worden. Verantwortung liegt oben Der Ausschuss legt Wert auf die Feststellung, dass die Verantwortung für die Folterungen nicht allein bei den ausführenden Beamten liegt: «Anders als bisher angenommen, sind die Verantwortlichen nicht nur Funktionsträger der unteren und mittleren Dienstgrade, wie Polizeidirektoren und Polizeibeamte, Gefängnisdirektoren und Aufseher, sondern die höchsten Dienstgrade der Verwaltung und der Justiz, das heisst Gouverneure und Oberstaatsanwälte.» Denn diese seien ihrer Leitungs- und Aufsichtsfunktion nicht nachgekommen. Kein Wunder, dass die Betroffenen das nicht gerne hören. So stellt sich der Gouverneur von Istanbul, Erol Cakir, bezüglich des auf einem Polizeiposten in Istanbul entdeckten Folterbalkens dumm: Es sei eine Stange mit unbekanntem Verwendungszweck gefunden worden; was sei da schon dabei? Wer sich in der Türkei um die Menschenrechte kümmert, ohne die parlamentarische Immunität zu geniessen, hat es nicht leicht. So wurden Mitte Mai die gerade wieder eröffneten Büros des türkischen Menschenrechtsvereins in Diyarbakir und Van erneut geschlossen. Das kann man mit dem Menschenrechtsausschuss nicht ohne weiteres machen, obwohl es mancher Gouverneur sicher gerne täte. Jan Keetman
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