taz 5.6.2000 Christenunion preist Islamisten Jahresversammlung der Milli Görüs in Köln: Vor der liberalen Fassade der Islamisten hofieren CDU-Politiker ihre potenziellen Wähler. Dahinter schweißt Necmettin Erbakan die Fundamentalisten zusammen: Reformer wurden nicht eingeladen aus Köln AHMET SENYURT Am Samstag um 17 Uhr 30 kam der Messias in das Müngerdorfer Stadion von Köln. 25.000 begeisterte Anhänger erheben sich von den Rängen und skandieren "Müdjahid Erbakan", Gotteskrieger Erbakan. Über Lautsprecher ertönt mit ohrenbetäubendem Lärm die Lobeshymne: "Wir lieben dich und die Türkei, wir sind stolz auf dich." Es war ein triumphaler Empfang, den die Gefolgschaft der in Köln ansässigen Islamischen Gemeinschaft - Milli Görüs (IGMG) ihrem Mentor Necmettin Erbakan bereitete. Dem ehemaligen Ministerpräsidenten ist in der Türkei zur Zeit jede politische Aktivität verboten. Sein Auftritt auf der 6. Jahreshauptversammlung der IGMG wurde mit Spannung erwartet. Denn der Reformflügel von Erbakans Tugend-Partei wird stärker: Kürzlich unterlag er den Fundamentalisten bei der Abstimmmung um den Parteivorsitz nur knapp. Welche Haltung würde der Islamistenführer zu den Reformbestrebungen in seiner Partei einnehmen? Die Antwort: Weder lud Milli Görüs Vertreter des Reformflügels als Gastredner nach Köln ein, noch ging Erbakan selbst auf die innerparteiliche Opposition ein. Die Botschaft des 70-jährigen Politikers, der die Reislamisierung der Türkei und die Islamisierung Europas zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, war klar: An mir kommt keiner vorbei. Das Milli-Görüs-Treffen stand in diesem Jahr unter dem Motto "Freiheit, Brüderlichkeit und Menschenrechte". Das sind unverfängliche Slogans, für die sich auch die Herzen von CDU-Funktionären erwärmen lassen. So lobte der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramm (CDU) als erster Gastredner die Verdienste der türkischen Unternehmer in Köln, deren wichtigste Integrationsleistung die Schaffung von Arbeitsplätzen sei. Die Bundestagsabgeordnete Ursula Heinen (CDU) übermittelte eine Grußbotschaft des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers. Heinen erklärte die IGMG-Jahreshauptversammlung zur größten und wichtigsten türkischen Veranstaltung in Deutschland. Diese Botschaft hörte der Kölner Mehmet Erbakan, Generalsekretär der Milli-Görüs-Bewegung, gerne. Seit drei Jahren bemüht sich der Neffe des türkischen Islamistenführers um ein liberales und demokratisches Image seiner Organisation. Mit Erfolg. Obgleich Milli Görüs vom Bundesinnenministerium nach wie vor verfassungsfeindliche Ziele unterstellt werden, gelang es dem jungen Erbakan, neue Verbündete in den Parteien und bei Dialogpartnern zu finden. Erbakan weiß, dass Milli Görüs in Deutschland zur Mehrheitsbeschafferin auf Landesebene werden kann. Im Herbst sind in Köln Oberbürgermeisterwahlen. Milli Görüs mag sich äußerlich gewandelt haben, aber in ihrer ideologischen Ausrichtung ist sie sich treu geblieben. Dies war auch die Hauptbotschaft an die Anhänger in Köln. Die Modernisierer innerhalb der Tugend-Partei haben auf absehbare Zeit wenig Chancen gegen den einflussreichen Erbakan-Clan in der Türkei und in Deutschland.
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