junge Welt, 06.06.2000 Grenzgänger vor Gericht 100 demonstrierten in Freiburg gegen »Residenzpflicht« für Flüchtlinge Mamadou Keita aus Guinea-Conakry und seine Frau Diaba Sylla waren zu einer Hochzeit nach Karlsruhe gefahren. Auf der Rückfahrt wurden die beiden Westafrikaner von Polizisten kontrolliert. Deshalb stehen sie am Mittwoch vor Gericht. Der Grund: Beide hätten als Asylbewerber, die in Freiburg gemeldet sind, ihren Landkreis ohne behördliche Genehmigung nicht verlassen dürfen. Sie haben somit gegen die sogenannte Residenzpflicht verstoßen. Ob eine Erlaubnis erteilt wird, liegt im Ermessen der jeweiligen Ausländerbehörde, die darüber recht willkürlich befindet. Dies zeigte sich jüngst bei den Genehmigungen zur Teilnahme am Flüchtlingskongreß in Jena, wo es auch in Südbaden große Schwierigkeiten mit den entsprechenden Ämtern gab. Als Strafe drohen »Grenzverletzern« Geldbußen oder sogar Haftstrafen bis zu einem Jahr. Da die beiden Westafrikaner, die als Aktivisten der Oppositionspartei RPG im November 1997 politisches Asyl in Deutschland beantragt hatten, den Strafbefehl in Höhe von 375 Mark nicht akzeptiert haben, müssen sie sich morgen vor dem Freiburger Amtsgericht verantworten. Gegen die »Residenzpflicht« und für das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit haben bereits am Sonnabend in Freiburg rund 100 Menschen mit einer Grenzaktion protestiert. Die Demonstration begann mit Kundgebungen in Freiburg und Emmendingen, passierte in Form eines Fahrradkonvois die örtlichen Flüchtlingslager und mündete am Grenzpunkt der Landkreise Emmendingen, Breisgau-Hochschwarzwald und des Stadtkreises Freiburg in einem Grillfest. Rund 70 Flüchtlinge aus drei Landkreisen haben sich an der Aktion beteiligt und damit bewußt gegen die Auflage verstoßen. Personalien nahm die Polizei, die die Demo beobachtete, nicht auf. »Die Residenzpflicht ist ein Mittel, das die Teilnahme von Flüchtlingen am gesellschaftlichen Leben unmöglich machen soll, um sie möglichst unbemerkt von der deutschen Gesellschaft abschieben zu können und potentielle Flüchtlinge massiv abzuschrecken«, kritisierte Veronika Treiber von der Initiative »rasthaus« in einem Redebeitrag. »Die Verweigerung der Bewegungsfreiheit ist eine klare Einschränkung von Menschenrechten und in gewissem Maße eine Fortführung dessen, was den Menschen in ihren Herkunftsländern widerfahren ist«. Freie Entscheidungen über private Aktivitäten könnten nicht mehr getroffen werden. Dies stelle eine massive Einschränkung der persönlichen Freiheit, auch eine Verletzung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar. Veronika Treiber rief dazu auf, bei den entsprechenden Behörden gegen das »unsichtbare Gefängnis« zu protestieren und bei rassistischen Kontrollen in Bussen, Zügen und auf Bahnhöfen Zivilcourage zu zeigen. Am 8. Juli wollen die Karawane-Gruppen einen bundesweiten Aktionstag gegen die Residenzpflicht organisieren. So wurde es auf dem Jenaer Flüchtlingskongreß vom April beschlossen. »Viele Flüchtlinge wollen und werden nicht länger um Erlaubnis fragen, ob und wann sie den zugewiesenen Landkreis verlassen dürfen. Sie sind nicht länger bereit, Gebühren für »Sondergenehmigungen« zu zahlen«, sagte Birgit Heidtke von der Karawane-Gruppe Südbaden. Mit einer bewußten Grenzüberschreitung sollen die Grenzen sichtbar gemacht und das Problem in die Öffentlichkeit getragen werden. »Schön wäre es, wenn der Aktionstag der Auftakt zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams gegen die Residenzpflicht würde«, meinte Heidtke. Denn nur mit einer breiten Bewegung ließe sich dieses in Europa einzigartige diskriminierende Gesetz gegen die Menschenwürde von Flüchtlingen zu Fall bringen. Martin Höxtermann, Freiburg
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