Frankfurter Rundschau, 6.6.2000 Eine verhängnisvolle Hochzeit Nach 14 Jahren in Deutschland ist ein Marokkaner abgeschoben worden - rechtlich korrekt und unbegreiflich Von Ursula Rüssmann In diesem Jahr wäre es so weit gewesen. Hassan Dardour hätte ihn wohl bekommen, den deutschen Pass, und seine Heidelberger Freunde hätten das für das Normalste der Welt gehalten. Warum soll einer nicht Deutscher werden, der seit 14 Jahren hier lebt und dazugehört? Aber aus dem deutschen Pass wird es nichts mehr für den Marokkaner, und mit dem Leben in Deutschland ist es aus. Ende Mai wurde er in Begleitung von Bundesgrenzschutzbeamten nach Casablanca abgeschoben. Zurückkommen darf er nicht; "unbefristete Wiedereinreisesperre" heißt das auf Amtsdeutsch. Zum Verhängnis wurde dem Mann seine Heirat mit einer Marokkanerin. Hassan Dardour in Stichworten: 1986 als 23-Jähriger nach Deutschland gekommen, Anfang 1992 als politischer Flüchtling mit dem "kleinen Asyl" anerkannt, seit zehn Jahren SPD-Mitglied, mehrere Jahre lang Mandatsträger im Heidelberger Ausländerrat. Keine Straftaten. Gearbeitet hat er praktisch ununterbrochen, meist als Bademeister, zuletzt in Schwetzingen. Neben seinem Freundeskreis versuchten Caritas und Diakonie, Dardours Abschiebung zu verhindern. Wieso fliegt so einer raus? "Rechtlich ist alles korrekt gelaufen", sagt Ellen Jahraus-Michy vom Diakonischen Werk Heidelberg ratlos, "aber menschlich ist das für den Mann eine Tragödie. Der war doch integriert, hat das Leben hier voll akzeptiert." Der Heidelberger SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding findet es "verrückt, dass einer wie Dardour nach so langer Zeit gehen muss". "Wir mussten so handeln", hält Heiner Bernhard dagegen, Chef des Heidelberger Amts für öffentliche Ordnung. Und: "Man muss sich halt Gedanken machen, was für ein Ausländerrecht wir haben." Den Stein ins Rollen gebracht hat Dardours Hochzeit Mitte 1998 mit der Marokkanerin Harara H. Er wollte die in Marokko lebende Frau in Heidelberg heiraten, und hätte sie ein Einreisevisum bekommen, so wäre Dardours Katastrophe schlicht nicht passiert. Aber das Visum wurde Harara - wie häufig in solchen Fällen - verweigert, andere Wege mussten gefunden werden. Damit beginnt die Geschichte, an deren Ende der Heidelberger Bürger Dardour - integriert, vielleicht nicht völlig assimiliert - den Behörden nur noch als Schein-Flüchtling gilt. Hassan Dardour gibt an, er habe Harara H. durch Vermittlung seiner Eltern kennen gelernt und in der spanischen Enklave Melilla an der marokkanischen Mittelmeerküste geheiratet. Melilla ist etwa 150 Kilometer von der Heimat seiner Familie bei Oujda entfernt. Auch die Verwandten und die marokkanischen Beamten, die die Heirat protokollieren mussten, seien nach Melilla gekommen - gegen Bakschisch, versteht sich. Nun ist bekannt, dass im spanischen Melilla reges Kommen und Gehen von Marokkanern herrscht, dass dort allerlei Schwarzhandel getrieben wird. Wer sich bestechen lässt, legt das aber in der Regel nicht schriftlich nieder. Und auch von der Heirat in Melilla gibt es keinen amtlichen Beleg: Auf der Heiratsurkunde taucht der Ortsname nicht auf. Dardour dachte an nichts Schlimmes, als er mit der Urkunde zur Heidelberger Ausländerbehörde ging und die Familienzusammenführung beantragte, um seine frisch Angetraute herzuholen. Das Amt jedoch sah Nachforschungsbedarf - nicht selbstverständlich bei einem, der seit zwölf Jahren unauffällig in Deutschland lebt. "Schließlich", wird Amtsleiter Bernhard später betonen, "war der Mann schon zweimal mit deutschen Frauen verheiratet, bevor er überhaupt den Asylantrag gestellt hat." Aha. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, erklärt Bernhard nicht. Jedenfalls wurde die deutsche Botschaft in Marokko eingeschaltet und bescheinigte, Dardour müsse wohl selbst zum Heiraten nach Marokko gekommen sein - was er als anerkannter Marokko-Flüchtling nicht darf. Die Botschaft erläuterte, formal korrekt: Gerichtsschreiber aus Oujda dürften in Melilla gar nicht tätig werden. Und bei Bestechung? Das erörterten die Diplomaten nicht.In Heidelberg ging das weiter, was Dardours Anwalt Matthias Diefenbacher rückblickend "scheibchenweises Zusammentragen von Indizien" gegen seinen Mandanten nennt. Dabei kam indes etwas heraus, das Dardour endgültig um seine Zukunft in Deutschland brachte: Er besaß seit 1996 einen marokkanischen Personalausweis. Damit habe Dardour sich "unter den Schutz seines Heimatstaates" gestellt und so seinen Flüchtlingsstatus verwirkt, stellte die Ausländerbehörde fest, egal, ob er den Pass in Marokko oder bei der Botschaft abgeholt habe. So steht es im Asylverfahrensgesetz, Paragraf 72. Was Hassan Dardour aber mit diesem Personalausweis wollte, weiß niemand. Nach Marokko einreisen konnte er damit nicht, dazu hätte er nach Auskunft der marokkanischen Botschaft zusätzlich einen Reisepass gebraucht. Dardour selbst trug dem Verwaltungsgericht die unglaubliche Erklärung vor, der Ausweis passe einfach besser in seine Brieftasche als der unhandliche Flüchtlingspass. War das durchtrieben? Naiv? Oder einfach unverstellter Ausfluss arabischer Eigenart? "Der Hassan", sagt der Heidelberger Peter Kern, früherer Leiter einer Entwicklungs-Organisation und seit vielen Jahren mit Dardour befreundet, "der Hassan hat sich bei dem Ausweis einfach nichts gedacht. Der hat die Folgen doch gar nicht überschaut." In der Tat ist unwahrscheinlich, dass Dardour den Paragrafen 72 kannte. Und auch Kern versteht das Gesetz nicht: "Wieso stellt sich einer ,unter den Schutz Marokkos', wenn er hier bei der Botschaft ein Papier beantragt, mit dem er gar nichts anfangen kann?" Der Stadt Heidelberg jedenfalls reichen die Indizien zum Resümee, Dardour habe "seit mehreren Jahren wieder intensiven Kontakt mit seinem Heimatstaat". Außerdem habe er, so die Stadt vor dem Verwaltungsgericht, nicht erklärt, "aus welchem Grund" er "seine nunmehr dritte Ehefrau" geheiratet habe. Ehemotive als Ziel ausländerbehördlicher Neugierde? Dardour wird später an die Stadt schreiben, er finde diese Bemerkung "merkwürdig. Für mich gehören Ehe und Familie zu einem normalen Leben. Ich verstehe nicht, warum dies extra begründet werden muss." Die rechtlich korrekte Geschichte von Dardours Tragödie neigt sich dem Ende zu. Verwaltungsgericht und -gerichtshof entscheiden zu Gunsten der Stadt, Dardour werden Flüchtlingsstatus und Aufenthaltsbefugnis entzogen. Auch seine Petition wird abgelehnt. Als der Marokkaner Anfang Mai selbst bei der Ausländerbehörde vorspricht, um sein provisorisches Aufenthaltspapier zu verlängern, wird er in Abschiebehaft genommen: Er sei bereits einmal "untergetaucht", heißt es zur Begründung. Vergeblich halten Rechtsanwalt und Diakonie dagegen, Dardour sei bereit, freiwillig auszureisen. SPD-Mann Binding will wenigstens erreichen, dass Dardour nicht in BGS-Begleitung abgeschoben wird, "damit er nicht vom deutschen gleich ins marokkanische Gefängnis wandert". Keine Chance: Von der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge bekommt Binding die Auskunft, Dardour sei inzwischen "suizidgefährdet" und daher der BGS erforderlich. Der Mann, der 1992 wegen seiner prodemokratischen und antimonarchistischen Aktivitäten das kleine Asyl bekam, wird acht Jahre später nach Casablanca geflogen und dort samt Einreisepapieren an die marokkanischen Grenzbehörden übergeben. Ob ihm in Marokko noch Repressalien drohen, ist unklar. An der Schwelle zur Einbürgerung ist Hassan Dardour abgestürzt. Am Ende zählten die 14 Jahre in Deutschland nichts mehr, die unspektakuläre "Verwurzelung", von der seine deutschen Freunde sprechen. Diese Zeit "spielt keine Rolle, wenn es um den Paragrafen 72 geht", sagt Amtsleiter Bernhard. Rechtlich ist das korrekt: Flüchtling bleibt Flüchtling, Integrationsleistung hin oder her. Den Sozialdemokraten Binding aber treibt um, dass "unser Ausländerrecht so gar keine weichen Ränder für Menschen wie Dardour hat". Das zeige erneut, "dass wir endlich ein Einwanderungsgesetz brauchen".
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