junge Welt, 08.06.2000 Interview Wem dienen Kronzeugen? jW sprach mit dem Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck vom Bundesvorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) F: Zum Jahresende 1999 wurde die Kronzeugenregelung abgeschafft, vieles spricht aber dafür, daß sie in modifizierter Form neu aufgelegt wird. Welches waren die zentralen Gründe für die Abschaffung? Die sogenannte Kronzeugenregelung wurde durch ein Artikelgesetz vom 9. 6.1989 zunächst bis zum 31. 12. 1989 befristet, dann bis zum 31. 12. 1995 und schließlich bis zum 31. 12. 1999 verlängert. Sie galt zunächst für sogenannte terroristische Straftaten und wurde später auf organisiert begangene Taten erweitert. Insofern ist es nicht richtig, davon zu sprechen, daß die Regelung »abgeschafft« wurde. Vielmehr war die Kronzeugenregelung im Bereich der sogenannten »terroristischen Straftäter« von vornherein als befristetes Ausnahmegesetz gedacht. Man wollte damals durch den »Schlußverkaufscharakter« der Vorschrift potentielle Aussteiger animieren. Weiterhin war die Befristung eine Vorsichtsmaßnahme, um eine genaue Folgenanalyse anzustellen, was nebenbei bemerkt wie bei so vielen jüngst eingeführten Gesetzen nie der Fall war. F: Auch im Fall der Festnahmen von drei mutmaßlichen Terroristen im Berliner Kulturzentrum Mehringhof Ende Dezember vergangenen Jahres stützt sich die Anklage maßgeblich auf einen Kronzeugen. Worin besteht aus Ihrer Sicht die Gefährlichkeit dieser Rechtsfigur? Ich möchte meine Kritik auf die zwei wichtigsten Argumente beschränken. Zum einen soll im Strafprozeß eine sogenannte Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung bestehen. Das faire Verfahren soll garantiert sein. Hiervon kann schon in »normalen Strafverfahren« kaum die Rede sein. Die Ermittlungsbehörden, insbesondere die Polizei, verfügt über einen absolut überlegenen Apparat. Die wichtigen Entscheidungen im Strafprozeß werden entgegen landläufiger Meinung nicht in der Hauptverhandlung vor Gericht, sondern im Ermittlungsverfahren getroffen, wenn das Verfahren in den Händen von Staatsanwaltschaft und Polizei ist. Dies zeigt sich besonders deutlich beim sogenannten Kronzeugen. Dieser wird über Monate vernommen, ohne daß die Verteidigung des jeweils Beschuldigten vollständig erfahren würde, was der Zeuge gegen ihren Mandanten im einzelnen ausgesagt hat. Ebenso ist es der Verteidigung in diesem Stadium unmöglich, eigene Fragen an den Zeugen zu richten. Die Verteidigung ist in solchen Fällen vielmehr gezwungen, abzuwarten, was der Kronzeuge gemeinsam mit den Ermittlungsbehörden an Vernehmungsprotokollen produziert und kann dann erst im Stadium der Hauptverhandlung mit der Verteidigung beginnen. Die zweite Hauptkritik richtet sich gegen die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Es handelt sich im hohen Maße um Zeugen, die ein starkes Eigeninteresse an dem Inhalt bestimmter Aussagen haben. Das macht sie unglaubwürdig. Beide Kritikpunkte werden seit zwei Jahrzehnten von Strafverteidigern immer wieder reklamiert. Unabhängig davon, daß ich nicht glaube, daß bei dieser Konstruktion eine rechtsstaatliche Gegensteuerung überhaupt möglich ist, wurden von keiner Seite bisher Anstalten unternommen, zum Beispiel die Informationsrechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren zu verbessern oder aber zwingend vorzuschreiben, daß der Kronzeuge in der Hauptverhandlung zu vernehmen ist oder aber gesetzlich auszuschließen, daß eine Verurteilung einzig und allein auf der Aussage eines Kronzeugen beruht. Dies ist Inhalt entsprechender Regelungen in den USA. Dort wird vorgeschrieben, daß die Aussage des Kronzeugen durch weitere Beweise gestützt werden muß. In Nordirland haben es die Obergerichte in den 80er Jahren aus rechtsstaatlichen Gründen abgelehnt, in politischen Verfahren allein aufgrund der Aussage Kronzeugen zu verurteilen. Ein solches rechtstaatliches Bewußtsein ist in der BRD aber derzeit nicht anzutreffen. Wenn von Kronzeugen die Rede ist - in den USA wird ja der Begriff des »Staatszeugen« verwandt, was mir plausibler zu sein scheint -, wird häufig nur auf diejenigen rekurriert, die von diesen Aussagen betroffen sind und damit vernachlässigt, daß sich solche Zeugen der Anklage in eine ausgesprochen schwierige Situation, in nicht überschaubare Abhängigkeitsverhältnisse usw. bringen. F: Können Sie aus Ihren Erfahrungen dazu etwas sagen? Es spielen sich im übrigen bei monatelangen Vernehmungen zwischen dem Kronzeugen und seinen Vernehmern psychologische Prozesse ab, die durchaus mit dem sogenannten Stockholm-Syndrom zu vergleichen sind. Alle Eindrücke der Außenwelt werden dem Zeugen nur noch über die ihn betreuenden Zeugenschutzbeamten und seine Vernehmer vermittelt. Er wird in vielfacher Hinsicht total abhängig von diesen Personen. Von der Bewertung seiner Aussagen hängt seine ganze weitere Existenz ab. Aber auch emotional wird der Zeuge eben mehr und mehr von den Vernehmern abhängig. Es entsteht für ihn eine schiefe Ebene, es gibt kein Zurück mehr. Mancher Zeuge zerbricht genau daran, wie es das Beispiel eines jungen Kurden Ende der 80er Jahre gezeigt hat, der noch von Bundesrichtern und Bundesanwälten in deutschen Gerichtssälen als Superzeuge gegen die PKK gehandelt wurde, während er psychisch immer labiler wurde, in ärztliche Behandlung gehen mußte und sich schließlich mit Benzin übergoß und anzündete. Interview: Volker Eick
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