Die Welt, 9.6.2000 CIA überprüft "Iran-Spur" im Fall Lockerbie Überläufer beschuldigt Teheran als Drahtzieher Von Dietrich Alexander Berlin - Elfeinhalb Jahre ist es her, dass eine Passagiermaschine der US-Fluglinie Pan Am über dem schottischen Ort Lockerbie nach einem Sprengstoffanschlag explodierte und 270 Menschen in den Tod riss. Lange glaubte man den Schuldigen zu kennen: Libyen. Nach langem Zögern und unter dem Druck eines internationalen Embargos willigte Staatschef Muammar el Gaddafi ein, zwei verdächtige Geheimdienstler an ein niederländisches Sondergericht, das nach schottischem Recht urteilt, auszuliefern. Der Prozess läuft, die Tat schien einer gerechten Sühne zugeführt zu werden. Doch dann legte ein 32-jähriger Iraner, der sich Ahmad Behbahani nennt, in einem Interview mit dem US-Sender CBS eine neue Spur, die in den Iran führt. Der Mann, der sich derzeit in der Türkei aufhält und in den USA um Asyl nachsucht, wusste Erstaunliches zu berichten: Er sei bis vor kurzem als iranischer Geheimagent verantwortlich für die Koordination von Terroraktionen im Ausland gewesen. Daher wisse er, dass der Iran nicht nur Drahtzieher des Lockerbie-Attentates, sondern auch des Anschlages auf einen US-Militärkomplex in Saudi-Arabien 1996 war, bei dem 17 Menschen ums Leben kamen. Im Fall Lockerbie habe der Iran mit Libyen zusammengearbeitet, um den Abschuss einer iranischen Linienmaschine durch ein US-Kriegsschiff im gleichen Jahr zu rächen. Der Iran erzählt eine andere Geschichte. Der zuständige Minister Ali Junesi sagte, ein Mann namens Behbahani werde in den Listen des iranischen Geheimdienstes nicht geführt. Ein hochrangiger iranischer Regierungsvertrete r legte Dokumente vor, die Behbahanis Vorwürfe entkräften sollen. Die offizielle iranische Lesart geht so: Der angebliche Überläufer Behbahani sei 1991 wegen Raubes verhaftet und 1992 entlassen worden. Dann habe er sich in den Irak abgesetzt, wo er von Sicherheitskräften an die vom Irak aus operierende militante iranische Oppositionsgruppe Mudschaheddin Chalk übergeben wurde. Nach seiner Rückkehr in den Iran sei Behbahani unter dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Irak und den Mudschahedin Chalk erneut verhaftet worden. Der Kasus interessiert nun auch den US-Geheimdienst CIA, der Behbahani verhörte. "Es scheint einige Löcher in seiner Geschichte zu geben, doch unmöglich scheint sie nicht zu sein", lautet eine erste Analyse. Wenn die Iran-Spur stimmt, wären die gerade wieder aufkeimenden Beziehungen zwischen Washington und Teheran mit seinem moderaten Präsidenten Mohammed Chatami mit einem Schlag dahin. Weder die USA noch der Iran hätten daran ein Interesse.
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